Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wildnis

Die Wildnis

Titel: Die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Golden , Tim Lebbon
Vom Netzwerk:
einem wilden Blick, als wenn sie Dinge gesehen hätten, die man nicht sehen sollte.«
    Jack zuckte die Achseln und blickte ins Feuer.
    »Hab auch schon Verrückte gesehen, die so ausgesehen haben«, fügte sie hinzu.
    Jack zuckte wieder die Achseln, doch diesmal ließ er ein Lächeln über seine Lippen wandern. Wer weiß? , hätte er fast gesagt, aber er wollte diese Leute nicht vor den Kopf stoßen. Sie wirkten recht gutmütig und teilten ihren Kaffee mit ihm, aber sie waren alle bewaffnet. Außerdem konnte er erkennen, dass sie nicht die leiseste Ahnung hatten, was da draußen in der Wildnis alles lauerte.
    Sie saßen einige Stunden zusammen, tranken Kaffee und redeten über das Gold, die Wildnis und das genauso wilde Dawson. Jack spitzte die Ohren, als einer von ihnen von ein paar Verrückten in Dawson erzählte, die in Kneipen abhingen und »irgendwelchen Mist über fleischfressende Ungeheuer und tote Menschen erzählen«. Als Jack wissen wollte, wie sie hießen, fragte die Frau: »Sind das etwa Freunde von dir?« Die Frage belastete die Stimmung am Lagerfeuer, danach war die Situation zwischen ihnen nicht mehr dieselbe.
    Jack stand als Erster auf und wünschte den anderen eine gute Reise. Er spürte ihre Blicke, als er die schweren Satteltaschen auf seine Schultern hievte, spürte aber auch, dass von diesen Leuten keine Bedrohung ausging. Sie waren wie kleine Kinder, die den Erwachsenen bei der Vorbereitung zur Jagd zusahen – was angesichts seiner Jugend eine große Ironie war. Jack sollte ihnen zumindest einen Rat mit auf den Weg geben.
    »Ich würde nach Westen gehen«, erklärte er. »In die niedrigeren Hügel. Da gibt es eine Indianersiedlung und viele Flüsse und Bäche.«
    »Uns hat man gesagt, nach Nordwesten«, entgegnete die Frau. »In die wilden Wälder und Täler zwischen den Bergen.«
    »Nein«, sagte Jack und blickte jedem von ihnen nacheinander in die Augen, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.»Auf dieser Gegend liegt ein Fluch.« Auf ihre gestammelten Fragen zuckte er nur die Achseln, wandte sich von den naiven Goldsuchern ab und machte sich auf den Weg.
    Er legte an dem Tag eine weite Strecke zurück und schlug am Abend sein Lager an einem Bachlauf auf, wo schon mehrere Feuerstellen waren. Er erlegte eine Ente und aß reichlich. Danach lag er unter dem Sternenhimmel und hörte die nächtlichen Geräusche näher kommen. Nichts davon konnte ihm mehr Angst machen. Wolfsgeheul begleitete ihn in den Schlaf, und im Geist heulte er mit, brachte seine eigene Stimme ein in die Geschichte der Wildnis.
    Am nächsten Tag marschierte er von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Er stieß auf etliche weitere verlassene Lager, und je weiter er nach Südosten ging, desto greifbarer wurde der Einfluss von Dawson. Die Wildnis war nicht mehr unberührt – die Spuren der Menschen waren in dieser Gegend nun sichtbar. So sehr er sich auf die Heimreise und das Wiedersehen mit seiner Familie freute, so war Jack doch auch traurig, dass dieser Abschnitt seines Lebens nun zu Ende ging. Es war, als ließe er einen Teil von sich zurück. Am Abend saß er am Lagerfeuer und heulte wieder wie ein Wolf. Es kam keine Antwort – die Wölfe blieben weit im Norden und Westen von hier, weit weg von den Gewehren und Jägern der Zivilisation –, doch auch in seinem Kopf kam keine Antwort. An dem Abend ging er traurig schlafen, und das Gefühl blieb ihm auch am nächsten Tag, als er endlich Dawson erreichte.
    Das Letzte, was er von Dawson gesehen hatte, war dieses heruntergekommene Hotelzimmer gewesen, in dem Archie und William ihn mit Fäusten und Knüppeln angegriffen hatten. Eskam ihm vor wie vor einer halben Ewigkeit, aber als er in der Ferne Dawson erblickte, das im Schoß einer sanften Talsenke gebettet war, wusste er, dass solche Orte sich nie wirklich veränderten. Erbaut auf Ehrgeiz und Abenteuerlust würde es dort immer genug Habgier und Zynismus geben, um die Menschen zu verderben. Diesmal würde er Dawson mit wachen Augen betreten, doch er schwor sich, dass er die Hoffnung in seinem Herzen nicht verlieren würde. Nicht alle Menschen waren böse. Das hatten ihm Merritt und Jim gezeigt.
    In Dawson war viel los, als Jack dort ankam, und man beachtete ihn kaum. Er war einer von vielen, die aus der Wildnis zurückkehrten, und obwohl er mehr gesehen hatte als die meisten, war zumindest an seiner äußeren Erscheinung nichts Ungewöhnliches. Die Zeit, die er bei Lesya verbracht hatte – wo er sich rasieren und seine Wäsche

Weitere Kostenlose Bücher