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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Konsequenzen es hätte, Deutschland herauszufordern. Ich kann die Leichen Hunderttausender englischer Soldaten sehen.«
    »Ach ja? Ich kann das nicht. Ich kann nur sehen, wie die Deutschen besiegt werden und Belgien verschont bleibt. Und wie französische Frauen und Kinder für unsere tapferen Jungs Blumen streuen.«
    Joe versuchte, darauf zu antworten, aber seine Worte gingen in Jubelrufen unter. Er gab auf. Gegen Kriegsfieber war kein Kraut gewachsen. Er wandte sich an Asquith, der rechts von ihm saß. »Henry, Sie sehen doch, was da auf uns zukommt, oder? Sie müssen alles tun, was in Ihrer Macht steht, um gegen diese Bluthunde, diese Kriegstreiber anzugehen.«
    Asquith schüttelte langsam den Kopf. »Ich kann vielleicht meine eigenen Hunde kontrollieren, Joe, sogar diesen hitzköpfigen Winston. Aber was ich nicht kontrollieren kann, ist die Meute jenseits des Kanals.«
    »Dann glauben Sie, dass es unvermeidlich ist?«
    »Ja, das glaube ich. Wir ziehen in den Krieg. Ganz Europa wird das tun. Es ist keine Frage mehr, ob, sondern nur noch, wann.«
    »Das glaube ich nicht, Henry. Das kann ich nicht.«
    Asquith seufzte tief. »Glauben Sie, was Sie wollen, Joe. Aber seien Sie froh, dass Ihre Söhne noch zu jung zum Kämpfen sind, und hoffen Sie, dass alles schnell vorbeigeht.«

   36   
    M ax trat aus dem Fahrstuhl in das Foyer des Coburg-Hotels hinaus. Er dankte dem Fahrstuhlführer, lächelte eine Frau an, die auf den Aufzug wartete, und ging zur Empfangstheke. Sein sonnengebräuntes, hübsches Gesicht wirkte glatt und unbeschwert.
    Aber nur, weil er sich sehr bemühte.
    Tatsächlich war er nervös und aufgewühlt. Seine Nerven lagen blank. Alles lief denkbar schlecht. Bauer, Hoffman, Maud … und jetzt diese neue Katastrophe – Sarajevo.
    Gerade hatte er in einem Stapel frisch gebügelter Hemden neue Anweisungen aus Berlin erhalten, von einem Zimmermädchen überbracht, das auf der Gehaltsliste des Kaisers stand. Sie wollten so viele Informationen wie möglich über britische Schiffe, Flugzeuge und Kanonen – und was konnte er beschaffen? Rein gar nichts.
    Die Kurierkette war noch immer unterbrochen, und bevor er zwischen Gladys Bigelow und John Harris – Billy Maddens Mann – keine Verbindung herstellen konnte, gab es keine Möglichkeit, sie zu schließen. Was hatte sich dieser Irre in Sarajevo bloß gedacht? Was hatten er und seine Anarchistenkumpane sich erhofft? Die Welt in Brand zu stecken? Wenn das ihr Ziel war, dann hatten sie es wahrscheinlich erreicht.
    In Gedanken verloren, sah Max die Frau, die mit gesenktem Kopf auf ihn zukam, erst, als es schon zu spät war. Er stieß mit ihr zusammen, schlug ihr den Hut herunter, und ihre Tasche fiel zu Boden.
    »Mein Gott«, sagte er erschrocken. »Wie furchtbar tölpelhaft von mir. Es tut mir leid. Bitte lassen Sie mich Ihre Sachen aufheben.« Er bückte sich, hob ihren Hut und ihre Tasche auf und reichte sie ihr. »Noch einmal, bitte nehmen Sie …« Verblüfft hielt er inne und trat einen Schritt zurück. »Willa Alden? Bist du das?«, fragte er.
    Willa sah zu ihm auf. »Max? Max von Brandt?«
    »Ja!«, erwiderte er aufgeregt. »Was für eine Freude, dich zu sehen.« Er umarmte sie, ließ sie dann los und sah sie kopfschüttelnd an. »Ich hätte dich kaum mehr wiedererkannt in deinem zivilisierten Aufzug.«
    Willa lachte. »Ich erkenne mich selbst kaum wieder. Du siehst gut aus, Max. Was machst du in London? Das letzte Mal, als ich dich sah, warst du auf dem Weg nach Lhasa.«
    »Ja, stimmt. Dort war ich auch. Und bekam sogar eine Audienz beim Dalai Lama, dank deines Einflusses.« Dann erzählte er von dem Zwist mit seinem Onkel und dass er nach London gekommen sei, um ein wenig Abstand von seiner Familie zu haben. »Du siehst auch sehr gut aus, Willa«, sagte er abschließend. »Was machst du hier? Ich hätte nicht gedacht, dass es irgendetwas gäbe, was dich von deinem Berg fortlocken könnte.«
    Willa erzählte ihm von ihrem Vater.
    »Das tut mir sehr leid«, sagte er und drückte ihre Hand.
    »Danke, Max. Das ist sehr lieb von dir. Mir fällt es immer noch schwer, mich damit abzufinden, dass er tot ist.«
    Sie redeten weiter, und während Max in ihre großen, ausdrucksvollen Augen blickte, überkamen ihn wieder die gleichen Gefühle wie damals im Himalaja. Er wollte sie in die Arme nehmen, gleich hier in der Eingangshalle, sie an sich drücken und ihr sagen, was er für sie empfand.
    Hör auf. Sofort. Bevor es zu weit geht, sagte ihm eine innere

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