Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly

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und ging Richtung Westen davon. Er kam an ein paar kleinen, schäbigen Läden, einem Seilmacher und zwei schmuddeligen Pubs vorbei. An der Ecke spielten drei kleine, viel zu dünn angezogene Mädchen Seilhüpfen und sangen ein morbides Lied.

    Ein kleiner Vogel namens Enza
    Der saß an meinem Fensta
    Ich macht’s auf und ganz allein
    Floh Enza zu mir herein
    In Schottland war diese Influenza, die Spanische Grippe, bereits angekommen, hatte India gesagt. Sid schauderte bei dem Gedanken, was passierte, wenn die Epidemie das East End erreichte. Das Viertel mit den überfüllten Häusern und der schlechten Kanalisation wäre ein idealer Nährboden für diese Krankheit. Sie würde sich wie ein Flächenbrand ausbreiten.
    Fünf Minuten später fand er eine Droschke und ließ sich zur Paddington Station bringen. Er war schon ein gutes Stück aus Limehouse heraus, als eine glänzende, schwarze Kutsche vor Teddys Büro hielt. Daher sah Sid die beiden Männer nicht, die daraus ausstiegen – einer trug die grobe Kleidung eines Flussschiffers, der andere einen schicken Anzug. Er zupfte an einem goldenen Ohrring und entblößte beim Lächeln einen Mund voller schwarzer, verfaulter Zähne.

   56
    H allo, Mai, meine Süße«, sagte Billy Madden. »Wo ist dein Boss?«
    »In seinem Büro, Mr Madden«, antwortete Mai. »Er erwartet Sie. Was darf ich Ihnen bringen? Tee? Whisky?«
    Billy legte die Hände auf Mais Schreibtisch und beugte sich mit einem scheußlichen Lächeln zu ihr hinüber. »Wie wär’s mit dir selbst, kleine Lotusblüte? Splitternackt auf einem Bett da hinten. Ich wollt schon immer mal rausfinden, was es unter euren hübschen Seidenkleidern zu sehen gibt.«
    Der Mann in Billys Begleitung wandte sich peinlich berührt ab. Mai wurde rot, ohne dass ihr das höfliche Lächeln entglitt. »Wenn Sie wünschen, Mr Madden, kann ich Ihnen ein Mädchen besorgen, wenn Sie mit Mr Ko fertig sind.«
    Billys Lächeln verblasste, sein Blick wurde hart. »Ich hab dir gesagt, was ich will. Dich. Auf dem Rücken. Jetzt steh auf und zieh deinen Schlüpfer aus, du nutzloses …«
    Teddy hörte Billys laute Stimme und trat aus seinem Büro.
    »Ach, verdammt, Billy, die willst du doch gar nicht«, sagte er beschwichtigend. »Die hat kleinere Titten als du selbst. Warum meinst du wohl, dass sie hier für mich tippt, statt in einem meiner Bordelle anzuschaffen?«
    »Stimmt das?«, fragte Billy.
    Er trat hinter die junge Frau, umschloss mit den Händen ihre kleinen Brüste und prüfte sie kennerhaft. Mai erstarrte. Sie schluckte, hielt den Blick starr geradeaus gerichtet und gab keinen Laut von sich.
    Teddy wurde zornig. Er mochte Mai. Sie war ein nettes Mädchen, keine Schlampe. Leistete gute Arbeit für ihn. Das verdiente sie nicht. Aber Billy war der Boss. Er nahm sich, was er wollte. Wenn er Mai wollte, würde er sie nehmen, und es gab nichts, was Teddy oder sonst jemand dagegen tun könnte.
    »Du hast recht, Teddy«, sagte Billy schließlich. »Da ist nicht genug dran, um mich glücklich zu machen. Tipp weiter, Süße.«
    Mai nahm einen Bleistift. Teddy sah, wie ihre Hände zitterten, und fluchte insgeheim. Situationen wie diese kamen immer häufiger vor. Billy war ein Dreckskerl, das war nichts Neues, aber es wurde immer schlimmer mit ihm. Er belästigte Frauen. Verlor die Beherrschung. Fing grundlos Schlägereien an. Vor einem Monat hatte er einem Typen im Bark den Schädel eingeschlagen, weil er sich von ihm ausgelacht fühlte.
    »Komm, trinkt ein Glas Whisky mit mir«, schlug Teddy vor. »Du und John, ihr beide. Und hinterher beschaff ich euch ein Mädchen, das die Mühe wert ist. Zwei Mädchen, wenn ihr wollt. Aus Schanghai. Die besorgen’s euch, dass ihr um Gnade winselt. Aber jetzt kommt rein, ich hab was mit euch zu besprechen.«
    »Und ich hab was mit dir zu besprechen, Edward«, erwiderte Billy, als er sich an Teddys Schreibtisch setzte. »Du hast zu wenig gelöhnt. Zwei Wochen hintereinander.« John, sein Handlanger, blieb neben ihm stehen.
    »Ich hab nicht zu wenig bezahlt. Fünfundzwanzig Prozent, wie immer. Dein Anteil war geringer, weil ich weniger verkauft hab. Ich hab nicht genügend Ware gehabt. Gerade im Moment kommt in Millwall eine neue Ladung rein. Sobald ich die verkauft hab …«
    »John hier«, unterbrach ihn Billy, »geht heut Abend mit raus und hilft beim Entladen der Ning Hai. Er und drei andere meiner Männer.«
    »Heute Abend? Warum heute Abend? Sie soll morgen Nachmittag entladen werden«,