Die Wildrose
die Augen und völlig durch den Wind. Ich kenn mich aus mit Süchtigen. Maud war keine.«
»Hast du damals irgendwas über die Sache gehört? Von jemand anderem in der Szene? Hat irgendjemand, den du kennst, Maud das Morphium verkauft?«
Teddy schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste. Aber ich bin auch nicht rumgelaufen und hab nachgefragt.«
»Könntest du jetzt nachfragen?«
Teddy zuckte mit den Achseln. »Für hundert Mäuse kann ich ’ne Menge tun«, antwortete er. »Aber das Ganze ist über vier Jahre her. Ich weiß nicht, wie viel ich da noch rauskriegen kann. Warum ist das so wichtig für dich?«
»Ich wär dir sehr verbunden, Teddy, wenn du das tun könntest«, sagte Sid und drückte die Zigarre aus.
»Wie kann ich dich erreichen, wenn ich was erfahre?«, fragte Teddy.
»Ich melde mich bei dir.«
»Wann? Ich bin ein beschäftigter Mann.«
»Wie wär’s, wenn wir uns genau hier wiedertreffen? In einem Monat. Am gleichen Tag. Im September.«
»Ich tu mein Bestes«, versprach Teddy.
Sid erhob sich.
»Du willst doch nicht schon gehen?«, fragte Teddy. »Du bist doch gerade erst gekommen. Ich führ dich rum und zeig dir alles.«
Sid bemerkte, dass Teddy dabei schon wieder auf die Uhr sah. Er sei ein beschäftigter Mann, hatte er behauptet. Zweifellos hatte er viel um die Ohren, aber seltsamerweise kam es Sid so vor, als wollte Teddy ihn hinhalten. Aber er wollte nicht bleiben. Es konnte ihm gar nicht schnell genug gehen, von hier wegzukommen, vom East End, von all den Erinnerungen und den Gespenstern der Vergangenheit.
Aber Teddy wollte nichts davon hören. Er müsse sich vorher zumindest noch das Lagerhaus ansehen. Sid willigte zögernd ein. Er wollte, dass ihm Teddy einen Gefallen tat, und wenn es dafür nötig sein sollte, sein Lagerhaus zu bewundern, dann würde er das eben tun.
Sie gingen aus dem Bürogebäude zu dem daran anschließenden vierstöckigen Lagerhaus. Als sie eintraten, hatte Sid das Gefühl, in einen riesigen, weitläufigen chinesischen Basar zu kommen. Ein wahres Sammelsurium aus großen, bunt bemalten Betten, Tischen mit Intarsien aus Perlmutt, Ebenholz und Elfenbein erwartete sie dort. Riesige blau glasierte Löwen- und Hundestatuen. Urnen, groß genug, um Bäume hineinzupflanzen. Vasen, Teekannen und Gongs. An den Wänden lehnten aufgerollte Teppiche. In Regalen lagen Seiden- und Satinballen. In offenen Kisten Perlenhalsbänder und winzige Jadefiguren. Teddy griff in eine Kiste, zog einen kleinen, etwa sechs Zentimeter großen Buddha heraus und gab ihn Sid.
»Ein Glücksbringer«, sagte er augenzwinkernd.
»Danke, Teddy«, erwiderte Sid und steckte die Figur ein.
»Das hier wird dich interessieren. Das musst du dir ansehen«, sagte Teddy.
Er führte Sid in den zweiten Stock hinauf, wo sich Teekisten türmten. Teddy öffnete einen Kistendeckel, tauchte die Hände in den schwarzen Tee und zog einen massiven braunen Klumpen von der Größe einer Kanonenkugel heraus.
»Chinesisches Opium. Das reinste. Das beste. Es wird in Teekisten geliefert. Oder in Statuen gestopft. Oder in Teekannen und Möbel. Und geht über meine Wäschereien raus, portioniert und in braunes Papier gewickelt, als wär’s ein Bündel Servietten oder Hemden. Die Bullen haben nicht die geringste Ahnung.«
»Du warst schon immer ein schlaues Kerlchen, Teddy. Mit allen Wassern gewaschen. Das muss man dir lassen.«
Teddy scherte sich einen Dreck um die Leute, die zu Sklaven der Droge wurden. Es kümmerte ihn nicht, ob sie sich das Zeug leisten konnten oder nicht. Ob ihnen – oder ihren Kindern – noch Geld für Kleider oder Essen blieb, wenn sie ihre Sucht finanzierten. Er verdiente sich eine goldene Nase mit dem Opiumhandel und wollte immer noch mehr verdienen. Das war das Einzige, was zählte. Sid wusste das, weil er früher genauso gewesen war wie Teddy, weil er das Gleiche getan hatte. Vor langer Zeit. In einem anderen Leben. Bevor er India kennenlernte.
Teddy streckte Sid den braunen Klumpen entgegen. »Willst du mal probieren? Ich lass uns von Mai eine Pfeife machen. Ich besorg uns auch ein paar Mädchen. Ganz wie in alten Zeiten.«
»Danke, Teddy, aber ich muss los.«
Draußen auf dem Gehsteig verabschiedete sich Sid. Teddy schüttelte seine Hand und sah dabei die Straße hinunter. »Ich hör mich um wegen der anderen Sache. Vielleicht krieg ich was raus. Heute in einem Monat, ja?«
»Alles klar«, erwiderte Sid. Er zog die Schultern hoch, als plötzlich ein Augustschauer einsetzte,
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