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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Wenn dir eine solche Frau begegnen sollte, melde sie mir oder jedem anderen Mitglied der türkischen Armee umgehend.«
    »Das werde ich, Herr«, antwortete Hussein. Willa befahl er, mit dem Schniefen aufzuhören und ihm zu folgen, dann trieb er sein Kamel zum Trab an. Eine halbe Stunde später, als sie außer Sichtweite der Patrouille waren, rief sie Hussein zu anzuhalten. Rasch zog sie die Kleider aus und warf sie ihm zu. Dann holte sie aus ihrer Satteltasche die Pistole, die sie ihm versprochen hatte, und übergab sie ihm ebenfalls.
    »Danke, Hussein. Ich verdanke dir mein Leben, und viele andere verdanken dir ihres auch«, sagte sie und schlang einen Schal um den Kopf.
    Hussein empfahl sie lächelnd dem Schutz Allahs und ritt nach Westen davon. Willa wandte Attayeh nach Süden. Bald wäre sie in Salkhad, wo Max Lawrence vermutete. Etwa noch einen Tagesritt entfernt. Wenn er nicht dort wäre, würde sie weiterreiten, weiter nach Süden. Sie war erschöpft, krank und hatte Schmerzen. Der Horizont verschwamm vor ihren Augen, aber sie hielt nicht an, zögerte nicht einmal.
    »Noch einen Tag, Attayeh, alter Junge«, sagte sie laut und versuchte, die schrecklichen Bauchschmerzen zu ignorieren. »Wir müssen nichts tun, als noch einen Tag durchzuhalten.«

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    W o ist es?«, murmelte Willa. »Wo zum Teufel ist das Lager?«
     Im Sattel sitzend, drehte sie sich um, blickte in alle Richtungen, entdeckte aber nirgendwo ein Lager.
    »Wo ist es?«, rief sie heiser. Wie zum Hohn hallten ihre Worte von den Dünen wider.
    Sie hatte in Salkhad nach Lawrence’ Lager gesucht, ein paar einheimische Jungen gefragt, aber die hatten von Lawrence nichts gehört und gesehen. Dann war sie nach Süden weitergeritten, wo er nach Aussage des Kamelhändlers sein sollte – nördlich von Azraq und östlich von Minifir. Und wieder hatte sie nichts gefunden. Vielleicht hatten sich beide, Max und der Händler, getäuscht. Oder sie hatte das Lager verfehlt, Anzeichen wie Kamelspuren oder Kameldung übersehen. Inzwischen hatte sie Mühe, allein den Kopf aufrecht zu halten, und sah auch nicht mehr klar. Nachzudenken fiel ihr ebenfalls schwer. Schon der Versuch tat weh. Zunehmend schwanden ihre Kräfte.
    Plötzlich stolperte Attayeh, und Willa fiel fast aus dem Sattel. »Bleib sitzen, altes Mädchen«, sagte sie sich, obwohl ihre Stimme kaum mehr als ein Krächzen war. Ihre Kehle fühlte sich so trocken an wie Staub. Gestern hatte sie den letzten Rest ihres Wassers getrunken. Wann genau, wusste sie nicht mehr. Die letzten achtundvierzig Stunden hatte sie nicht mehr angehalten, sondern Attayeh erbarmungslos angetrieben. Ihr blieb keine andere Wahl. Der Tod war ihr auf den Fersen, dennoch musste sie Lawrence erreichen, bevor ihr die Krankheit den Garaus machte.
    Es war ganz sicher Cholera. Manchmal erholten sich Leute davon. Wenn sie die richtige Medizin einnahmen und Ruhe hatten. Sie hatte beides nicht. Verzweifelt sehnte sie sich danach abzusteigen. Anzuhalten. Sich auszuruhen. Aber sie wusste, wenn sie dies täte, könnte sie nicht mehr aufsteigen. Sie würde sterben, wo sie gerade war, denn sie hätte nicht mehr die Kraft, in den Sattel zu klettern.
    Attayeh war erschöpft und verwirrt und weinte. Willa wusste, dass Kamele Tränen weinten, wenn sie dehydriert waren, und Attayeh war zu lange und zu hart vorangetrieben worden. Willa wollte das Tier beruhigen, es trösten, ihm neuen Mut zusprechen, aber auch dazu hatte sie nicht mehr die Kraft. Sie hoffte, im Umkreis eines Dorfes oder Beduinenlagers zu sein, wo Attayeh die Nähe von Wasser und anderen Kamelen spürte und vielleicht von selbst dorthin liefe. Das hoffte sie inständig. Ihr blieb auch nichts mehr als diese Hoffnung, so vage und aussichtslos sie auch sein mochte.
    Mit schlaff herunterhängendem Kopf ritt sie noch eine halbe Stunde weiter. Plötzlich brüllte das Kamel, blieb wie angewurzelt stehen und trabte dann in schnellerem Tempo weiter. Willa hob den Kopf. Sie spähte in die Ferne, hoffte, das Kamel hätte wie durch ein Wunder eine Oase oder eine kleine Siedlung entdeckt. Stattdessen sah sie Staub am Horizont. Einen Moment lang fragte sie sich, ob sie phantasiere. Wassermangel führte ja bekanntlich zu Halluzinationen. Blinzelnd versuchte sie es noch einmal. Es waren tatsächlich Staubwolken am Horizont, dessen war sie sich sicher. Sie beschattete die Augen und erkannte drei Reiter. Einer sprengte voran, aber auch die anderen kamen sehr schnell auf sie zu.
    Bitte, betete

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