Die Wildrose
paar Stunden, oder du kommst nie in Haifa an.«
Seamie war zu müde für einen Streit. »Danke, dass du gekommen bist. Bitte rette sie.«
»Ich werde tun, was ich kann, aber es liegt in Allahs Händen, Seamus Finnegan, nicht in meinen.«
Seamie nickte. »Sprich mit ihm. Allah erhört dich. Sag ihm, wenn er ein Leben will, kann er meines haben. Ein Leben für ein anderes Leben. Meines, nicht ihres. Sag ihm das, Fatima. Bitte ihn, Willa Alden am Leben zu lassen.«
88
»… und Jennie sammelt die Daten über die Anzahl alleinstehender Frauen unter dreißig in London, die wir für die Briefkampagne ans Unterhaus brauchen«, erklärte Katie Finnegan.
Aber Jennie hörte nicht zu. Sie saß zwar in Fionas Salon bei der Mittwochsversammlung der Frauenrechtlerinnen, war aber in Wirklichkeit ganz woanders. Katie sprach über die neueste Kampagne der Gruppe – die Absenkung der Altersgrenze beim Wahlrecht für Frauen –, Jennie jedoch befand sich im Geist wieder in Brambles und lauschte Sids schrecklicher Geschichte. Ihr wurde heiß und kalt, als er ihnen erzählte, warum er zu Teddy Ko gegangen war und was er über Maud und Max von Brandt erfahren hatte. Sie erinnerte sich, wie sie dort gesessen hatte, sich nicht zu rühren und kaum zu atmen wagte, als Sid erklärte, dass Max aller Wahrscheinlichkeit nach ein deutscher Spion und zugleich ein Mörder sei – Mauds Mörder. Sie erinnerte sich an den furchtbaren Schock, den India bei der Nachricht bekam. Und sie erinnerte sich an Joes Zorn.
»Wir müssen dem Premierminister davon berichten. Auf der Stelle«, sagte er. »Von Brandt hat London verlassen, aber dieser Flynn scheint immer noch Informationen weiterzugeben. Er muss geschnappt werden. Sofort. Bevor noch mehr von unseren Landsleuten das Leben verlieren.«
»Warte, Joe«, erwiderte Sid. »John Harris – der Mann, der mir das Leben gerettet hat – ist in die Sache verstrickt. Das ist zwar nie seine Absicht gewesen, aber ihm blieb nichts anderes übrig. Madden hat ihn bedroht. Ich habe versprochen, ihm zu helfen und ihn und seine Familie aus London rauszuholen. Wir können nichts gegen Flynn unternehmen, bevor wir nicht sichergestellt haben, dass John nicht im Gefängnis landet.«
»Aber wir können doch Flynn nicht länger auf freiem Fuß lassen«, widersprach Joe. »Er könnte jeden Moment untertauchen.«
»Uns bleiben noch ein paar Tage«, erwiderte Sid. »Heute ist Sonntag. John meinte, das nächste Treffen findet kommenden Freitag statt. Da müssen wir zuschlagen. Wir müssen Flynn im Besitz der Unterlagen schnappen, sonst haben wir nichts in der Hand – außer einen unschuldigen Mann, der zu Unrecht verdächtigt wird.«
Niemand hatte dabei Jennie beachtet. Niemand bemerkte, wie bleich sie plötzlich geworden war und wie sie am ganzen Körper zu zittern begann. Und seit diesem Moment schwankte sie so heftig zwischen Glauben und Leugnen hin und her, zwischen Todesangst und Verzweiflung, dass es sie fast zerriss.
Im einen Moment sagte sie sich, Sid habe sich getäuscht – Max war ein Friedenskämpfer, ganz so, wie er ihr beteuert hatte. Im nächsten, dass er genau die Verbrechen begangen hatte, deren Sid ihn bezichtigte. Aber aus welchem Grund sollte Harris lügen? Kein ehrenhafter Mann mit lauteren Absichten hätte sich mit Typen wie Billy Madden eingelassen. Hätte Morphium bei einem Drogenbaron gekauft, und kurz danach wäre die Geliebte dieses Mannes an einer Überdosis gestorben. Max von Brandt war ein deutscher Spion. Er hatte den Alliierten Schaden zugefügt, statt ihnen zu helfen. Er hatte Tausende britischer Soldaten in den Tod geschickt. Und sie, Jennie, hatte ihm dabei geholfen. Sie hatte Blut an den Händen, genau wie er.
Das Ausmaß des Ganzen war so furchtbar, dass sich Jennie nicht damit abfinden konnte. Also tat sie es nicht. Erneut redete sie sich ein, dass Sid völlig falsch lag. Genau wie John Harris. Und dass alles herauskommen würde, sobald dieser Flynn gefunden wäre. Er würde richtigstellen, wer Max wirklich war, was er in Wirklichkeit tat. Er würde alles aufklären.
»Glaubst du, du könntest diese Zahlen bis Anfang nächsten Monats beschaffen, Tante Jennie? Tante Jennie?«
Es war Katie.
»Oh! Tut mir leid, Katie. Ich weiß nicht, wo ich heute Abend bloß mit meinen Gedanken bin«, antwortete Jennie.
»Du siehst ein bisschen blass aus. Geht’s dir gut?«
Lächelnd wischte Jennie ihre Sorge beiseite. »Mir geht’s gut. Ich bin bloß ein bisschen
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