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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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    H allo, Mum! Alles in Ordnung mit dir?«, fragte Gladys  Bigelow beim Blick ins Wohnzimmer mit lauter Stimme, weil ihre Mutter ein bisschen schwerhörig war. Ihren Schirm hatte sie in den Schirmständer im Gang und ihre Einkaufstasche auf den Boden gestellt und jetzt knöpfte sie ihren tropfenden Regenmantel auf.
    Mrs Bigelow, die an ihrem üblichen Platz am Fenster saß, lächelte matt. »Alles bestens, mein Schatz. Wie war dein Tag?«
    »Grässlich. Ich bin froh, dass er vorbei ist.«
    »Und ich bin froh, dass du zu Hause bist. So ein schauderhaftes Wetter. Schrecklich nass für September.«
    »Wem sagst du das? Ich bin durchweicht bis auf die Knochen. Ich hab uns zum Abendessen ein paar schöne Schweinesteaks gekauft. Und eine Büchse Ananasringe für oben drauf. Und Erbsen. Vielleicht mache ich auch Püree. Ich weiß doch, wie gern du Schweinesteaks mit Püree magst.«
    »Ach Gladys, das solltest du nicht tun müssen.«
    »Was nicht tun müssen, Mum?«, fragte sie und zog ihren Regenmantel aus.
    »Den ganzen Tag so hart arbeiten, dann heimkommen und für mich kochen. Das ist zu viel für dich«, erwiderte Mrs Bigelow und knetete ihr Taschentuch zwischen den Händen.
    Gladys runzelte die Stirn. Sie hängte ihren Regenmantel an den Kleiderhaken neben der Tür, setzte sich neben ihre Mutter und hielt ihre zitternden Hände fest. »Was ist los, Mum? Bist du wieder deprimiert heute? Was ist passiert?«
    Mrs Bigelow drehte den Kopf weg.
    »Na komm schon. Heraus damit. Sag’s mir.«
    »Mrs Karcher ist heute vorbeigekommen. Sie hat mir Plätzchen gebracht, die sie gebacken hat …«
    »Das ist doch sehr nett«, sagte Gladys.
    »Ja, schon. Sie ist eine ganz reizende Person, Mrs Karcher. Sie hat mir erzählt, dass sich ihr mittleres Mädchen – Emily heißt sie – verlobt hat. Ihre Verlobter kämpft in Frankreich, aber er hat ihr einen Brief geschrieben und sie gefragt, ob sie ihn heiraten wolle, und dass es ihm leidtue, dass er keinen Ring in den Umschlag legen könne, aber sobald er heimkomme, kaufe er ihr einen.«
    »Warum macht dich das traurig, Mum? Das ist doch eine schöne Geschichte.«
    »Ja genau deswegen macht sie mich ja traurig. Du solltest auch solche Geschichten erzählen. Du solltest auch einen jungen Mann haben, der um deine Hand anhält. Aber du hast keinen. Weil dir das nicht möglich ist. Weil ich dir zur Last falle.«
    »Ach, Mum, du dummes Ding. Ist dir deswegen zum Weinen zumute?«
    »Ich bin nicht dumm, Gladys. Es ist nicht normal, dass ein junges Mädchen wie du seine Mutter versorgen muss. Du solltest einen Mann haben. Und eine eigene Wohnung. Und eines Tages Kinder.«
    »Das werde ich, Mum. Eines Tages werde ich das haben.«
    »Was ist denn aus diesem einen geworden, mit dem du dich getroffen hast … diesem Peter? Seemann war er, oder?«
    »Das habe ich dir doch gesagt, Mum. Er ist gefallen. Gleich zu Kriegsanfang.«
    »Ja, stimmt, das hast du gesagt. Eine Schande ist das. Er scheint so ein netter Mensch gewesen zu sein. Und seitdem niemand mehr? In der ganzen Zeit?«
    »Na ja, im Moment herrscht ja nicht gerade ein Überangebot an Männern. Mitten im Krieg und überhaupt, meine ich.«
    »Wahrscheinlich hast du recht.«
    »Warte nur, bis der Krieg vorbei ist und alle wieder daheim sind. Dann haben sie die Schützengräben, wo sie bloß mit Kerlen zusammengepfercht waren, so endgültig satt, dass alle unbedingt eine Frau finden wollen. Und wir ledigen Mädchen haben dann freie Auswahl«, sagte Gladys lächelnd, um ihre Mutter aufzumuntern.
    »Ja, hoffentlich.«
    »Ich weiß es. Also Schluss jetzt mit dem albernen Gerede. Du bist keine Last für mich. Ich komme gern heim und erzähle dir, wie mein Tag gewesen ist. Was sollte ich denn sonst tun, wenn ich dich nicht hätte? Mir einen Wellensittich zulegen? Ich kann die verdammter Viecher nicht ausstehen.«
    »Gladys!«, rief Mrs Bigelow tadelnd. »Keine solchen Ausdrücke. Das ist nicht damenhaft.«
    Aber Gladys sah, dass sie sich das Lachen verbiss. Sie küsste ihre Mutter auf die Wange und erklärte, dass sie jetzt Abendessen machen würde, weil es sonst Mitternacht wäre, bis sie was zu essen bekämen.
    »Ist der Postbote gekommen heute?«, fragte sie auf dem Weg hinaus.
    »Ja, er hat ein paar Briefe gebracht. Mrs Karcher hat sie auf den Küchentisch gelegt.
    Gladys nahm ihre Einkäufe und ging in die Küche. Sie räumte die Lebensmittel in den Eisschrank, dann nahm sie ihre Schürze vom Haken und band sie um. Sie machte sich Sorgen um

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