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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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geschickt?
    Vielleicht, sagte ihr eine innere Stimme, hatte jemand sie belauscht. Schließlich waren noch andere Leute in dem Bus – eine Handvoll Männer. War es möglich, dass einer von ihnen für Max arbeitete und die Kuriere beschattete? Das war durchaus möglich, fand Gladys, während ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief. Bei Max von Brandt war alles möglich.
    Die Fotografie war eine Warnung – eine Warnung, Jennie Finnegan bei der Stange zu halten.
    »Mein Gott, was soll ich tun?«, flüsterte Gladys verängstigt.
    Wenn Jennie den Umschlag geöffnet und entdeckt hatte, was er wirklich enthielt, war sie sicher zu den Behörden gelaufen. Und dann würde man auf sie – Gladys – losgehen. Sie würde verhaftet, angeklagt und des Landesverrats für schuldig befunden werden. Wenn sie nicht an den Galgen käme, würde sie den Rest ihres Lebens im Zuchthaus verbringen.
    Um das zu verhindern, musste sie Jennie Angst einjagen. Sie musste sie so einschüchtern, dass sie weiterhin die Umschläge überbrachte. Aber wie? Wahrscheinlich hatte Jennie wirklich nicht gewusst, dass sie deutschen Spionen half, britische Militärgeheimnisse nach Berlin zu schmuggeln. Jennie war unschuldig. Max hatte ihr eingeredet, er sei auf britischer Seite, und sie hatte ihm geglaubt. Aber aus irgendeinem Grund zweifelte sie jetzt an ihm. Und was sollte sie, Gladys, dagegen tun? Eine unschuldige Frau zwingen, ihr eigenes Land zu verraten? Selbst wenn sie eine Idee hätte, wie sie das anstellen sollte, hatte sie keine Lust dazu. Sie würde nicht jemand anderem das Gleiche antun, was Max ihr angetan hatte.
    Genau wie beim ersten Mal, als Max ihr die Fotos zeigte, kam ihr jetzt erneut der Gedanke, sich umzubringen. Aber genau wie damals konnte sie sich dazu nicht durchringen, weil sie nicht wollte, dass ihre Mutter in ein Heim kam, wo niemand richtig für sie sorgte.
    »Was soll ich bloß tun?«, flüsterte sie verzweifelt.
    Mit mechanischen Bewegungen zerriss sie das Foto und warf die Fetzen in den Abfall. Dann öffnete sie die Dose mit den Ananasringen, nahm die Schweinesteaks aus dem Eisschrank, legte sie in eine Schüssel und goss den Saft aus der Dose darüber. Während sie marinierten, zerstampfte sie die Kartoffeln und gab Butter und Salz dazu. Anschließend zündete sie mit einem Streichholz den Grill an. Als das Gas zischend ausströmte und leuchtend orange aufflammte, kam ihr die Lösung.
    Als die Steaks fertig waren, legte sie das Fleisch auf zwei Teller und dekorierte sie mit den Ananasringen. Dann stellte sie das Püree und die Erbsen auf den Tisch und schließlich den Tee in ihrer besten Kanne. Es sah alles sehr einladend aus. Ihrer Mutter würde es gefallen.
    »Essen ist fertig, Mum!«, rief sie, als sie den Flur entlangging, um ihre Mutter zu holen. »Es sieht gut aus, muss ich sagen. Ich hoffe, du hast heute Abend richtig Appetit.«
    Gladys half ihrer Mutter in die Küche und setzte sie auf einen Stuhl.
    »Jetzt setz dich auch, Gladys«, sagte Mrs Bigelow. »Du musst dich auch mal ein bisschen ausruhen.«
    »Das werde ich, Mum. Aber es zieht von irgendwoher. Ich mach bloß noch schnell das Fenster zu, damit wir uns nicht erkälten.«
    Danach schob sie einen Teppich an die Unterkante der Hintertür. Kurz bevor sie sich setzte, drehte sie alle vier Flammen, den Backofen und den Grill an und tat so, als würde sie sie in Wirklichkeit abdrehen. Ihre Mutter mit ihrem schlechten Gehör würde von dem leisen Zischen nichts mitkriegen.
    »Das ist wunderbar, Gladys!«, sagte Mrs Bigelow, als sie mit zitternden Händen das Fleisch zu schneiden versuchte. »Genau das Richtige, um an einem regnerischen Abend die Trübsal zu vertreiben.«
    »Danke, Mum. Freut mich, dass es dir schmeckt.«
    Mrs Bigelow musste den seltsam traurigen Unterton in Gladys’ Stimme bemerkt haben, weil sie plötzlich aufblickte. »Alles in Ordnung mit dir, Gladys?«, fragte sie.
    Gladys nickte lächelnd.
    Ihre Tränen hatte sie schon abgewischt, bevor ihre Mutter sie entdecken konnte.

   92   
    S ollen wir noch mal einen Versuch wagen, Gentlemen?«, fragte Joe und fuhr im Rollstuhl in Sir George Burgess’ Büro. Sid folgte ihm. »Und könnten die Feindseligkeiten für die Dauer der Besprechung ruhen?«
    Sid nickte. Burgess stand hinter seinem Schreibtisch und nickte ebenfalls. »Bitte setzen Sie sich.«
    Sid rückte einen der Stühle weg, um Platz für Joes Rollstuhl zu machen, bevor er sich setzte. Burgess goss Tee aus einer Silberkanne ein und

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