Die Wildrose
Abgeordnete herbeizitieren, Mrs Finnegan. Wenn Sie mir vielleicht sagen könnten, worum es sich handelt«, antwortete Schwester Connors freundlich.
Jennie wollte das nicht, hatte aber keine andere Wahl. »Es gibt einen Spionagering in London. Durch ein Labyrinth von Tunneln unter der Themse schaffen sie Geheimnisse nach Berlin. Das weiß ich, weil ich ihnen geholfen habe. Können Sie jetzt bitte Mr Bristow holen? Er hat ein Telefon zu Hause und eines im Unterhaus. Haben Sie einen Apparat im Stationszimmer? Vielleicht könnte ich so mit ihm sprechen?«
»Einen Moment, Mrs Finnegan«, bat Schwester Connors.
Jennie beobachtete, wie sie in die Mitte des Raums zur Stationsschwester trat, die dort mit einem Klemmbrett stand und etwas aufschrieb. Schwester Connors dämpfte ihre Stimme, aber Jennie hörte jedes Wort, das sie sagte.
»Die neue Patientin – Mrs Finnegan – redet über Spione, Schwester Matthews, und behauptet, ihnen zu helfen. Ich glaube, sie phantasiert.«
Die Stationsschwester nickte. Dann trat sie an Jennies Bett und sah sie besorgt an. »Hallo, meine Liebe. Ich bin Schwester Matthews. Schwester Connors sagt mir, Sie seien ziemlich aufgeregt. Sie müssen sich beruhigen«, sagte sie eindringlich. »Sie sind sehr krank und brauchen Ruhe.«
»Sie denken wohl, ich sei nicht ganz richtig im Kopf«, erwiderte Jennie. »Ich schwöre Ihnen, das stimmt nicht. Mein Mann und unsere ganze Mittelmeerflotte sind in großer Gefahr. Ich muss sofort mit meinem Schwager sprechen.«
Schwester Matthews nickte. »Holen Sie bitte Dr. Howell«, sagte sie zu Schwester Connors.
Gott sei Dank, dachte Jennie. Der Doktor würde sie verstehen. Er würde Joe anrufen und ihm sagen, dass sie ihn sprechen musste.
Ein paar Minuten später erschien ein bärtiger Mann. Er wirkte angespannt und sorgenvoll. Ein Stethoskop hing um seinen Hals. Die Vorderseite seines weißen Kittels war mit getrockneten Blutflecken übersät. In der Hand hielt er eine Tasse.
Er stellte sich vor, und bevor Jennie ein Wort herausbringen konnte, sagte er: »Also wissen Sie, Mrs Finnegan. Was höre ich da über Spione? Sie dürfen sich über solche Dinge nicht den Kopf zerbrechen. Ihr Ehemann ist nicht in Gefahr, davon bin ich überzeugt. Wir haben selbst Agenten, wissen Sie, die alles daransetzen, feindliche Spione aufzuspüren. Das ist deren Job. Ihr Job ist es, gesund zu werden. Jetzt trinken Sie das bitte.«
Jennie sah die Tasse misstrauisch an. »Was ist das?«
»Medizin«, antwortete der Arzt.
Jennie schüttelte den Kopf. »Das ist ein Beruhigungsmittel, nicht wahr? Sie denken, ich spiele verrückt, aber das stimmt nicht. Sie müssen mir glauben, Dr. Howell. Sie müssen …«
»Mrs Finnegan«, unterbrach Dr. Howell sie, »wenn Sie die Medizin nicht freiwillig nehmen, muss ich zu anderen Mitteln greifen.«
»Nein! Ich muss mit Joseph Bristow sprechen! Bitte!«, flehte sie mit erhobener Stimme. Ihre Erregung löste einen weiteren Hustenreiz aus, der so schwer und quälend war, dass ihr wieder Blut aus der Nase lief.
Dr. Howell wischte ihr mit einem Tuch das Blut ab und zeigte es ihr. »Sie haben einen kleinen Sohn, nicht wahr? Und einen Mann. Was würden die sagen, wenn sie wüssten, dass Sie nicht alles daransetzen, um wieder gesund zu werden und zu ihnen heimzukommen? Was würden sie mir sagen, wenn ich das zuließe?«
Jennie begriff, dass Dr. Howell ihr nicht glaubte und Joe nicht holen lassen würde. Gleichzeitig begriff sie aber auch, was er ihr klarmachen wollte – dass sie tatsächlich schwer krank war und durchaus die Möglichkeit bestand, dass sie nicht mehr zu Mann und Sohn zurückkehren könnte … nie mehr.
Mit Tränen in den Augen nahm sie die Tasse aus Dr. Howells Hand und schluckte die bittere Flüssigkeit. Es dauerte nur Sekunden, bis die Wirkung einsetzte. Ihre Augen fielen zu, und sie hatte das Gefühl, nach unten gezogen zu werden, in einen tiefen, schweren Schlaf.
Das Letzte, was sie spürte, waren Schwester Connors’ sanfte Hände, die ihr das Haar aus dem Gesicht strichen. Das Letzte, was sie hörte, war die Stimme der Schwester, die sagte: »Arme Frau. Ich bin mir sicher, das ganze verrückte Zeug, das sie von sich gibt, kommt allein von der Sorge um ihren Mann, der im Krieg ist.«
Schwester Matthews entgegnete: »Sie sollte sich Sorgen um sich selbst machen. Der Kampf, der ihr bevorsteht, ist genauso schlimm wie der unserer Jungs an der Front. Und ihre Chance, ihn zu gewinnen, kaum größer.«
91
Weitere Kostenlose Bücher