Die Wildrose
stehen, um eine Reihe neuer Abzüge auf dem Arbeitstisch anzusehen.
Schweigend betrachtete er sie eine Weile und schüttelte schließlich den Kopf. »Verdammt, Willa.«
Willa wusste, was er sich ansah – eine Bilderserie, die sie vor zwei Tagen in einem Bordell gemacht hatte. Die Fotos zeigten die Prostituierten an ihrem freien Tag. Sie wuschen ihre Bett- und Unterwäsche, sie kochten, aßen und lachten. Kümmerten sich um ihre Kinder. Sie zeigten sie als menschliche Wesen.
»Die sind erstaunlich. Absolut umwerfend. Die Kritiker werden ausflippen.«
»Positiv oder negativ?«, fragte Willa und lächelte über seinen Brooklyner Akzent.
»Sowohl als auch«, antwortete er und stieg wieder ins Bett. »Du bist vollkommen furchtlos, Willa. Aber nicht, weil du mutig bist. Sondern weil es dich einen Dreck schert, was dir passiert. Dir ist es scheißegal, ob Nutten, Zigeuner, Bullen oder Kritiker auf dich einprügeln.« Er warf einen Blick auf die Orangen und runzelte die Stirn, dann biss er ein Stück von der Schokolade ab. »Hast du sonst noch was zu essen hier?«
»Ich glaube nicht.«
»Kein Wunder, dass du so dünn bist«, erwiderte er und schob ihr ein Stück Schokolade in den Mund. »Komm heute Abend zu mir. Ich brate dir ein Steak.«
»Hört sich gut an. Ich denke, ich komme.«
Oscar schenkte Wein nach, und Willa griff nach dem Fläschchen mit den Pillen auf dem Nachttisch. Sie wollte zwei nehmen, ganz diskret, um den Schmerz abzumildern, der mit den Erinnerungen an Seamie zurückgekehrt war. Aber Oscar bemerkte es und fragte: »Schon wieder diese Pillen?«
»Ich brauche sie. Gegen die Schmerzen.«
»Welche Schmerzen? Wo?«, fragte er.
»In meinem Bein.«
Oscar schüttelte den Kopf. »Nein, da sitzt der Schmerz nicht.« Er ließ seine Hand über ihre Brust gleiten und drückte sie auf ihr Herz. »Er sitzt hier.«
Willa wandte sich ab. Sie wollte nicht darüber reden.
Vorsichtig und liebevoll legte Oscar die Hand an ihr Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich. »Sieh mich an, Willa. Warum bist du so deprimiert? So dünn und so traurig.« Er nahm ihren Arm und küsste ihre Armbeuge. »Warum sehen deine Arme aus wie Nadelkissen? Warum schluckst du all diese Pillen?«
»Oscar, nicht …«, wehrte sie ab.
»Weil du jemanden verloren hast? Im Krieg? Ja, ich weiß. Ich habe das Foto gesehen, das du von ihm gemacht hast. Das an der Wand hängt. Aber hör zu, ich sage dir was: Jeder hat jemanden verloren.« Er schwieg eine Weile, dann fügte er hinzu: »Aber du hast mich und ich habe dich gefunden, und das sollte doch auch etwas bedeuten. Das könnte es, wenn du es zulassen würdest.«
Oscar schob den Rest der Schokolade in den Mund, dann nahm er das Silberpapier, zwirbelte es zu einem Ring und setzte ein Papierkügelchen als Diamant darauf. Schließlich nahm er Willas Hand, steckte ihr den Ring an den Finger und sagte: »Heirate mich, Willa.«
»Lass das, du Dummkopf.«
»Ich meine es todernst. Heirate mich.«
Willa schüttelte den Kopf.
»Komm schon, Willa. Werd meine Frau. Ich hol dich raus aus diesem Loch. Nehm dich mit nach Rom. Beschaff dir irgendwo ein hübsches Haus. Mit einer Heizung. Du kriegst einen Garten. Und eine Küche. Ich kauf dir eine Schürze. Und ein Porzellanservice …«
Willa brach in Lachen aus.
»… und einen Staubsauger.« Er senkte die Stimme. »Ich meine es ernst. Wir können Kinder haben. Und Toast am Morgen. Und abends Diners. Richtige. Wie ganz normale Leute.«
»Das hört sich gut an, Oscar. Wirklich«, erwiderte Willa leise. Der Gedanke, dass er sie mochte und ihr all dies geben wollte, diese guten und realen Dingen, berührte sie zutiefst.
»Das ist gut. Wird es sein. Mach es. Lass dein Gespenst auf dem Friedhof zurück, wo es hingehört, Willa.«
Sie wusste, er war ein guter Mensch. Ein talentierter Musiker. Und schön wie ein Gott. Die meisten Frauen hätten gemordet, um so einen Mann für sich zu gewinnen.
»Komm doch, Willa. Heirate mich«, wiederholte er und zog sie an sich. »Ich liebe dich. Wahnsinnig. Was sagst du? Ich werf dir eine Rettungsleine zu. Sei doch nicht blöd. Ergreif sie.«
Vielleicht hatte er recht und sie unrecht. Vielleicht gab es ja eine Chance für sie. Für sie beide. Aber ganz egal, wie sehr sie sich auch bemüht hatte, sie konnte Seamie nicht vergessen – andererseits hatte sie aber auch nie etwas so Verrücktes und Närrisches probiert. Vielleicht konnte sie ja eine glückliche Ehe führen. In einem Haus. Mit einem Staubsauger.
Weitere Kostenlose Bücher