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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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am Montparnasse herumführen«, antwortete Eddie.
    Willa küsste ihre Tante erneut, nahm ihren Mantel und lief schnell auf die Straße hinunter. Hut und Schal und auch alles andere hatte sie vergessen, bis auf die unglaubliche Nachricht, dass Seamus Finnegan lebte.

   112   
    J osie!«, rief Willa und klopfte an die Wohnungstür ihrer Freundin. »Jo, ich bin’s, Willa! Mach auf!«
    Sie klopfte schon seit einer Minute, aber Josie hatte immer noch nicht geöffnet. Willa war überzeugt, dass sie um diese Zeit noch zu Hause war, weil sie gewöhnlich bis Mittag schlief.
    Willa wollte sie unbedingt sehen. Josie war ihre beste Freundin, und sie musste ihr von Seamie erzählen und sich bei ihr ausweinen.
    »Komm schon, Josie, du faules Stück! Steh auf und lass mich rein!«, rief Willa erneut und hämmerte gegen die Tür.
    Aber immer noch keine Antwort. »Das ist seltsam«, sagte Willa. Sie drehte den Türknauf. Und das war ebenfalls seltsam. Die Tür ging auf. »Jo?«, rief sie erneut, inzwischen besorgt.
    Es war dunkel in der Diele. Sie brauchte einen Moment, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, dann ging sie hinein und stellte fest, dass hier etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Alles war völlig durcheinander. Bilder waren von der Wand gerissen. Vasen und Statuen lagen zerbrochen am Boden. Vorhänge zerfetzt. Kissen aufgeschlitzt. Die Seidenpolster aufgeschnitten. Füllmaterial quoll aus Stühlen und Sofas.
    »Josie?«, rief sie plötzlich angstvoll und hörte ein Geräusch wie ein Stöhnen aus dem Schlafzimmer. Schnell lief sie dorthin, und bei dem Anblick, der sich ihr dort bot, schrie sie auf.
    Josie lag auf dem Bett. Ihr Gesicht war so übel zugerichtet, dass es kaum mehr erkennbar war. Blut tropfte auf die Vorderseite ihres Kleids und aufs Bettzeug.
    »Josie … mein Gott …«, rief Willa und lief zu ihrer Freundin hin.
    Josie streckte die Hand aus nach ihr. »Ich hab nichts gesagt, Willa«, schluchzte sie. »Ich hab’s ihm nicht gesagt.«
    »Wem gesagt? Wer hat dir das angetan?«, fragte Willa, nahm ihre blutüberströmte Hand und kniete sich neben ihr nieder. »Nein, sprich nicht. Beweg dich nicht. Tu gar nichts. Ich hol Hilfe.«
    »Nein!«, stöhnte Josie.
    »Du brauchst einen Arzt!«, widersprach Willa.
    »Dafür ist keine Zeit. Hör zu, Willa, bitte … ich hab einen Sohn«, stieß Josie mühsam hervor.
    »Was?«
    »Einen kleinen Jungen. Daheim in England. James. Ich war früher mit einem Ganoven zusammen … Billy Madden. Er hat mich geschwängert, dann wollte er, dass ich’s wegmachen lasse. Das konnte ich nicht. Ich hab das Baby bekommen. Und es meiner Freundin Jennie gegeben. Sie war früher meine Lehrerin. Sie hat ihr Baby verloren. Ihr Mann hat sie nicht geliebt, und sie dachte, er liebt sie, wenn sie ihm ein Kind schenkt, aber das konnte sie nicht, weil sie einen Unfall hatte. Ich bin weg aus London und hab mich in ihrem Cottage versteckt. In den Cotswolds …« Josie hielt einen Moment inne, schloss die Augen und atmete schwer.
    Willa spürte, wie sie ein eisiger Schauer überlief. Seamies verstorbene Frau hieß Jennie. Sie hatte ein Cottage in den Cotswolds gehabt. Der Name ihres Sohnes war James. James war vier Jahre alt. Nein, dachte sie, das kann nicht sein. Das ist bloß ein Zufall.
    Josie öffnete wieder ihre Augen, und Willa sah den Schmerz, der darin stand.
    »Josie, sprich nicht«, sagte sie. »Lass mich einen Arzt holen. Bitte .«
    »Dafür ist keine Zeit«, antwortete Josie. Sie stöhnte erneut auf. »Ich hab mich bei dem Doktor, der das Baby entbunden hat, als Jennie ausgegeben, damit auf der Geburtsurkunde die richtigen Namen eingetragen wurden. Am Tag nach der Geburt hab ich das Kind Jennie gegeben und bin nach Paris gefahren. Jennie hat ihren Mann angelogen … sie hat so getan, als wär sie schwanger, und ihm dann vorgemacht, sie hätte das Baby bekommen. Ich hab sie gebeten, mir ab und zu zu schreiben … mir ein Bild zu schicken … o Gott …« Josies Worte gingen in qualvolles Wimmern über.
    »Josie, bitte, du musst mich Hilfe holen lassen.«
    Josie schüttelte den Kopf. »Jemand hat Billy von dem Jungen erzählt, und jetzt will er ihn haben. Er ist total wahnsinnig geworden, Willa. Ich dachte, er bringt mich um. Er sagte, er hat seine Söhne im Krieg verloren und will sich jetzt James holen. Er wollte Jennies Namen aus mir rauspressen und den ihres Ehemanns, aber ich hab nichts verraten, deshalb hat er mich so zugerichtet. Er fährt nach England

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