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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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einen dicken Mantel an. Dann steckte sie Josies Geld und die Briefe in ihre Tasche, eilte zum Bahnhof und erreichte den Zug um halb fünf nach Calais. Dort angekommen, war die Fähre nach Dover schon ausgebucht, also buchte sie eine Überfahrt mit der Nachtfähre. Jetzt war es früher Morgen, etwa acht Uhr.
    Bei der Rückkehr in ihre Wohnung am Tag zuvor hatte sie überlegt, zur Polizei zu gehen, die Sache mit Josie anzuzeigen und ihnen zu sagen, dass derselbe Mann, der sie zusammengeschlagen habe, jetzt versuche, ein Kind zu entführen. Aber dann dachte sie: Und wenn sie mir nicht glauben? Und schlimmer noch, wenn sie es tun? Dann halten sie mich fest und stellen mir tausend Fragen. Als Erstes würden sie den Überfall auf Josie untersuchen, statt sich um ein Kind in England zu kümmern. Ich würde auf dem Revier sitzen und den Tatort beschreiben, während Madden schon halb über dem Kanal wäre.
    Sich an die Pariser Polizei zu wenden hätte also niemandem geholfen – weder James noch Josie. Was sie tun musste, war, Seamie zu warnen, dass Billy Madden sich seinen Sohn schnappen wollte. Nachdem sie Albie nicht überzeugen konnte, das zu tun, auch Joe Bristow und die Gastwirtin in Binsey nicht, müsste sie es eben selbst tun.
    »Alles erledigt, Miss«, sagte der Tankwart. »Kurz vor London müssen Sie noch mal tanken.«
    Er nannte ihr den Namen einer Stadt mit einer Tankstelle und einem guten Pub, falls sie Lust auf eine Pause und ein warmes Essen hätte. Willa dankte ihm. Sie setzte die Brille auf, startete die Maschine und raste aus Dover hinaus.
    Als sie die Stadt hinter sich gelassen hatte, beschloss sie, beim nächsten Halt noch einmal Albie anzurufen – falls sie ein Telefon fand. Vielleicht hatte Eddie ihn in der Zwischenzeit erreicht. Und vielleicht konnte sie – Willa – ihn diesmal davon überzeugen, zu Seamie und James zu fahren und die beiden vor Unheil zu bewahren.
    Nur für den Fall, dass sie sich täuschte. Nur für den Fall, dass Billy Madden schon viel näher bei Binsey war, als sie hoffte.

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    A lbie hörte das Telefon bis in die Garage klingeln. Er nahm seine Einkäufe aus dem Wagen und lief zum Haus. Es regnete in Strömen, und er wurde auf den paar Metern zwischen Garage und Hintertür klitschnass.
    »Ja? Ja? Sprechen Sie lauter, bitte, ich höre schlecht!«, sagte Mrs Lapham, die Putzfrau seiner Tante, die zweimal pro Woche kam. »Will? Will wer?«, rief sie.
    Das musste Willa sein. Albie stellte den Korb ab und ging zum Telefon hinüber, das auf einem kleinen runden Tisch stand.
    »Ich übernehme jetzt, Mrs Lapham. Danke Ihnen!«, rief er mit erhobener Stimme.
    Mrs Lapham zuckte zusammen. »Oh, Albie, mein Lieber! Sie haben mich vielleicht erschreckt. Da ist jemand am Apparat.«
    »Ja, das habe ich mitbekommen«, rief Albie.
    Mrs Lapham gab ihm den Hörer und ging wieder an ihre Arbeit. Albie hielt den Hörer an die Brust, wartete, bis sie außer Hörweite war, bis ihm einfiel, dass sie das sowieso war.
    »Ich dachte, ich hätte dir gesagt, dich erst wieder zu melden, wenn du kein Morphium mehr nimmst.«
    »Ich habe damit aufgehört. Seit über vierundzwanzig Stunden habe ich nichts mehr genommen, und das bringt mich fast um. Es fühlt sich an, als würde mein Kopf explodieren«, antwortete Willa.
    Albie hörte Windrauschen und ein Geräusch wie Regenprasseln. Es knisterte in der Leitung, ein paar Sekunden lang brach die Verbindung ab, dann war sie wieder da. »Wo bist du?«, fragte er.
    »An einer Tankstelle westlich von London.«
    » Was? Was zum Teufel machst du da?«
    »Hat dich Tante Eddie angerufen?«
    Albie sah sich um, ob eine Nachricht dalag. »Nein, ich glaube nicht. Aber ich war die meiste Zeit nicht zu Hause. Warum?«
    Albie hörte Willa stöhnen. »Ich versuche, nach Binsey zu kommen. Zu Seamie.«
    »Willa, sag mir sofort, wo du bist. Ich schicke jemanden, der dich abholt«, antwortete er streng.
    »Jemanden mit einem großen Netz? Und einer Jacke mit Gurten am Rücken?«, zischte Willa. »Albie, ich komme gerade von meiner besten Freundin, die fast zu Tode geprügelt wurde. Ich versuche einen anderen Freund vor noch viel Schlimmerem zu bewahren. Ich bin seit Stunden unterwegs – die meiste Zeit bei strömendem Regen auf einem klapprigen Motorrad. Ich stehe weder unter Drogeneinfluss, noch bin ich verrückt. Der Wahnsinn treibt einen vielleicht eine Weile lang an. Aber doch nicht so, dass man in vierundzwanzig Stunden von Paris nach Oxford kommt. Um das zu schaffen,

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