Die Wildrose
verlangte nach ihm wie nach einer Droge. Sie konnte an nichts anderes mehr denken als an ihn.
Danach hatten sie Champagner getrunken, sich noch einmal geliebt und den verdammten Zug verpasst. Also mussten sie mit dem Automobil von Max zum Landsitz der Familie Asquith nach Sutton Courtenay in Oxfordshire fahren, wohin der Premierminister sie übers Wochenende eingeladen hatte. Max war gefahren wie der Teufel, und sie kamen nur eine halbe Stunde zu spät.
Maud kannte Asquith gut. Sie war mit dessen Frau Margot und seiner erwachsenen Tochter Violet befreundet. Violet hatte ihre Mutter verloren, als sie und ihr Bruder noch klein waren, und Asquith hatte später Margot geheiratet, eine der schönen und temperamentvollen Tennant-Schwestern.
Nach ihrer Ankunft hatten sie mit Margot, Violet und anderen Gästen eine Tasse Tee getrunken, sich dann gebadet und zum Dinner umgezogen. Nach dem Dinner schlug Asquith eine Partie Bridge vor. Maud und Max waren dem Premier und seiner Frau zugeteilt worden. Die restlichen Gäste spielten an anderen Tischen. Maud war eine ehrgeizige Spielerin und hatte gewöhnlich Spaß an den Karten, aber die Erinnerung an den Nachmittag hatte sie so erregt und außer Fassung gebracht, dass sie kaum ihr Blatt richtig halten konnte.
»Sie sind wieder an der Reihe, Maud«, sagte Asquith mit einem Anflug von Ärger in der Stimme. »Was lenkt Sie denn so ab? Für gewöhnlich geben Sie Ihren Gegnern am Bridgetisch doch keine Chance.«
»Millicent Fawcett«, sagte Maud unvermittelt.
Nichts lag ihr im Moment ferner als Millicent und die Frauenrechtlerinnen, aber ihr fiel auf die Schnelle nichts Besseres ein. Sie konnte dem Premierminister wohl kaum erzählen, woran sie gerade wirklich dachte.
»Angeblich will sie zur Labour-Partei wechseln. Und deren Kandidaten unterstützen. Sie hat den Eindruck, die Labour-Partei zeigt mehr Sympathie für die Sache des Frauenwahlrechts«, erklärte Maud. »Sie sollten Sie nicht ignorieren, Henry. Sie hat uns vielleicht noch nicht das Wahlrecht verschafft – ich betone, noch nicht –, aber sie hat Einfluss.«
»Wollen Sie mich ablenken, meine Beste? Wenn ja, wäre das höchst unsportlich und funktioniert außerdem nicht.«
»Beim Bridge und im Krieg ist alles erlaubt«, erwiderte Maud. »Aber im Ernst, Sie wären gut beraten, Millicent nicht zu unterschätzen. Sie ist überhaupt nicht so, wie es den Anschein hat. Sie ist höflich und zurückhaltend, aber gleichzeitig auch resolut, zäh und rücksichtslos.«
Asquith hob den Blick von den Karten. »Ich würde sagen, dass nichts und niemand so ist, wie es äußerlich scheint«, antwortete er, und Maud bemerkte, dass er nicht sie, sondern ihren Partner dabei ansah und dass seine Miene sehr finster geworden war. »Würden Sie mir da nicht zustimmen, Mr von Brandt?«
»Doch, das würde ich«, antwortete Max und hielt dem Blick von Asquith stand.
Einen Moment lang hatte Maud das beunruhigende Gefühl, dass die beiden Männer nicht mehr von Bridge, sondern von etwas ganz anderem redeten. Dann begann Margot, im Plauderton Fragen zu stellen, und das seltsame Gefühl verschwand so schnell, wie es gekommen war.
»Maud erzählte mir, Sie seien am Everest gewesen, Mr von Brandt«, meinte Margot.
»Ja, das stimmt. Ich habe den größten Teil des vergangenen Jahres in Nepal und Tibet verbracht«, antwortete Max.
Margot wollte gerade weiterreden, als die Salontür aufging.
»Entschuldigen Sie, Sir …« Es war der Sekretär von Asquith.
»Was gibt’s denn?«
»Ein Anruf, Sir. Aus Cambridge.«
Asquith schwieg einen Moment, dann drehte er sich um. »Cambridge, sagen Sie?«
»Ja, Sir.«
Der Premierminister nickte. Er wandte sich zum Tisch zurück und sah Max an, und Maud bemerkte erneut, wie sich der Ausdruck seiner Augen verhärtete.
»Ich glaube, Sie sind dran, Mr von Brandt. Ich frage mich … wie Sie Ihre Karten diesmal ausspielen? Mit mehr Risiko vielleicht?«
Max schüttelte den Kopf und lächelte verkniffen. »Bei so vielen erfahrenen Spielern am Tisch werde ich wohl vorsichtig bleiben.«
Asquith nickte und erhob sich.
»Nehmen Sie den Anruf in Ihrem Arbeitszimmer entgegen, Sir?«, fragte der Sekretär.
»Das muss ich ja wohl, um allen mein langweiliges Gerede zu ersparen«, antwortete Asquith und legte seine Karten mit der Blattseite nach unten auf den Tisch. »Wenn das verdammte Arbeitszimmer bloß nicht so weit weg wäre, aber ich bin gleich wieder da.« Dabei drohte er Maud mit dem Finger. »Nicht
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