Die Wildrose
so.« Er stand auf, Jennie ebenfalls. Sie strich sich Röcke und Haare glatt. »Nein, du bleibst hier«, sagte er zu ihr. »Das ist eine Unterredung zwischen deinem Vater und mir. Ich komme wieder. Bleib hier.«
Jennie lächelte ihn an, als er den Raum verließ, aber sobald sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, verdüsterte sich ihre Miene. Sie ließ den Kopf sinken. Trotz ihres Glücks war sie krank vor Sorge. Diese Schwangerschaft war mehr, als sie sich erhoffen durfte. Tatsächlich war es fast ein Wunder, aber Seamie hatte keine Ahnung. Weil sie ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Weder über die Narbe auf ihrem Körper noch über den Unfall, der sie verursacht hatte.
Sie hatte mit ihren Freundinnen gespielt. Ihr Ball fiel auf die Straße, und sie lief ihm nach. Sie sah die Kutsche nicht kommen und erinnerte sich auch nicht mehr, wie sie von ihr ergriffen und unter ein Rad geschleudert wurde. Es hatte sie fast zermalmt. Nach einer langen, riskanten Operation teilte der Arzt, Dr. Addison, ihren Eltern mit, dass ihr fünf Rippen gebrochen, die Milz zerrissen, die Lunge gequetscht, die Eierstöcke zerstört und der Uterus perforiert worden sei. Er sagte ihnen auch, dass er zwar sein Bestes getan habe, aber sie sich darauf einstellen sollten, ihre Tochter zu verlieren. Wenn sie nicht unmittelbar an ihren Verletzungen sterben würde, dann vermutlich an der nachfolgenden Infektion.
»Wir haben seine Meinung natürlich geachtet«, sagte ihre Mutter Monate später, nach ihrer Genesung, »aber wir haben auf Gott vertraut.«
Jennie verbrachte sechs lange Monate im Krankenhaus, und obwohl sie sich an den Unfall nicht erinnern konnte, erinnerte sie sich sehr wohl an die Zeit danach. Sie war die reinste Hölle gewesen – die Schmerzen der Verletzungen, die Infektionen und das rasende Fieber, die wund gelegenen Stellen, die Langeweile und der endlose Heilungsprozess.
Als sie das Krankenhaus schließlich verlassen durfte, war sie schwach, blass und schrecklich abgemagert, aber sie lebte. Es dauerte noch weitere sechs Monate, bis sie ein paar Pfund zugenommen hatte, und noch länger, bis sie wieder zu Kräften gekommen war, aber mithilfe ihrer Eltern schaffte sie es. Der Arzt besuchte sie natürlich mehrmals in dieser Zeit. Das letzte Mal, als sie ihn sah, brachte er ihr eine wunderschöne Babypuppe mit. Ein Trostpflaster, dachte sie, als sie älter wurde, denn ein echtes Baby würde sie nie bekommen können. Der Arzt hatte sich im Wohnzimmer von ihr verabschiedet und dann im Gang ihre Mutter beiseitegenommen. Jennie sollte nicht hören, was er sagte, aber sie lauschte an der Tür.
»Sie hat zwar noch ihre Gebärmutter, Mrs Wilcott, aber die wurde schwer verletzt. Sie wird vielleicht ihre Tage bekommen, aber nie ein Kind haben können. Es tut mir leid. Für Sie ist das jetzt ein Schlag, und für Jennie wird es später eine Last sein, aber nicht alle Frauen brauchen einen Ehemann, um glücklich zu sein. Jennie ist ein sehr intelligentes Mädchen. Sie sollte vielleicht Lehrerin werden oder Krankenschwester. Gute Krankenschwestern braucht man immer.«
Damals mit neun hatte sie seine Worte nicht verstanden und konnte sich auch nicht vorstellen, je einen Ehemann zu brauchen, schon gar nicht für ihr Glück. Doch mit dreizehn, als sie ihre Tage bekam und ihre Mutter sie über die biologischen Tatsachen des Lebens aufklärte, verstand sie, was Dr. Addison hatte sagen wollen: dass kein Mann sie je würde haben wollen, weil sie keine Kinder bekommen könnte.
Als sie älter wurde, sagte sie sich, dass dies nicht wichtig sei. Wenn sie nicht heiraten könnte, würde sie eben in ihrer Arbeit Befriedigung finden. Wenn sie keine eigenen Kinder haben könnte, würde sie die Kleinen lieben, die sie in ihrer Schule unterrichtete. Einmal machte ihr ein junger Mann, ein Diakon in der Kirche ihres Vaters, den Hof. Er war blond, schlank und freundlich. Sie war nicht verliebt in ihn, aber sie mochte ihn. Weil sie ihn nicht liebte, war sie aufrichtig zu ihm, und als er erfuhr, dass er keine Familie mit ihr gründen könnte, bedankte er sich für ihre Offenheit und übertrug seine Zuneigung auf die Tochter eines Tuchhändlers.
Es hatte noch zwei andere Männer gegeben – einen Lehrer und einen jungen Pfarrer. Auch zu ihnen war sie aufrichtig gewesen und hatte beide verloren. Es hatte ein bisschen wehgetan, aber nicht allzu sehr, weil sie auch in diese beiden nicht verliebt gewesen war.
Und dann hatte sie Seamie Finnegan
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