Die Wildrose
erfährt. Vor der hat er höllische Angst. Und seine drei Söhne sollen auch nichts erfahren. Die drei sind das Höchste für ihn. Ich hab ihm gesagt, dass ich’s nicht wegmachen lass. Das hab ich schon ein paarmal hinter mir. Das erste Mal hab ich kein Geld gehabt, also hat sich der Doktor in Naturalien bezahlen lassen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Das letzte Mal hab ich eine Frau genommen. Die war alt. Mit zittrigen Händen. Sie hat mich so geschnitten, dass ich fast verblutet wäre. Von diesen Metzgern hab ich die Nase voll. Ich krieg dieses Kind, Jennie. Das schwör ich bei Gott. Und ich geb’s in ein gutes Heim, wenn es da ist, aber ich krieg dieses Kind. Noch mal mach ich das nicht durch.« Sie hielt inne, um erneut einen Zug zu nehmen, dann fuhr sie fort: »Also, wie ich Billy das gesagt hab, was tut er, der Klugscheißer? Er versetzt mir einen Schlag. Einen schweren. In die Magengrube. Ich hab mich vorgebeugt … so«, sie krümmte sich zusammen und verschränkte die Arme vor dem Bauch, »damit er mich nicht mehr in den Bauch schlagen und ich’s mit dem Gesicht abfangen kann. Er hat mich angebrüllt, mich geprügelt, nach mir zu treten versucht. Und gesagt, dass er mir’s selber wegmachen wird. Dann hab ich’s geschafft abzuhauen. Ich hab ein paar Pfund in der Tasche gehabt und bin aus dem Bark rausgerannt, hab eine Droschke genommen und mich hierherfahren lassen. Und da bin ich. Tut mir leid, dass ich Sie da mit reinziehe. Aber ich hab nicht gewusst, wo ich sonst hinsoll. Wenn Sie mir ein Kleid leihen könnten, irgendeinen alten Fetzen, bin ich auch gleich wieder weg.«
Jennie war zu aufgewühlt, um etwas zu sagen. Stattdessen schenkte sie Tee ein. Josie versuchte, Zucker in ihre Tasse zu geben, aber ihre Hände zitterten noch so stark, dass fast alles danebenging.
Jennie sah auf die kleinen Hände, die schönen Ringe daran und die abgebissenen Fingernägel, und der Anblick versetzte ihr einen Stich. Josie war erst neunzehn. Sie war intelligent. Ein lebhaftes, lustiges, hübsches Mädchen. Sie hätte so viel aus sich machen können, aber statt eine Ausbildung zur Krankenschwester oder Sekretärin anzufangen, war sie zur Bühne gegangen und hatte sich mit den falschen Leuten eingelassen – mit liederlichen Tänzerinnen, Prostituierten, Gaunern, verheirateten Männern und schließlich mit Billy Madden. Billy hatte sie mit einer eigenen Wohnung, einer Kutsche, Diamanten und Kleidern versorgt, aber Josie lernte schnell, dass es bei Billy nichts umsonst gab. Man bezahlte für alles, was man von ihm bekam. Auf die eine oder andere Art.
»Wo willst du jetzt hin?«, fragte Jennie schließlich.
»Nach Paris. Ins Moulin Rouge. Ich krieg bestimmt Arbeit da. Da kann ich mit den Besten singen und tanzen.«
»Vielleicht jetzt noch, aber was ist, wenn du im siebten Monat bist?«
»Daran hab ich nicht gedacht.«
»Und wie steht’s mit Geld?«
»Ich hab heimlich was auf die Seite getan. Auf einer Bank. Meinen Lohn aus den Varietés. Billy weiß nichts davon.«
»Reicht das, um nach Paris zu fahren? Für deinen Unterhalt, bis du Arbeit gefunden hast?«
»Ich weiß nicht. Wahrscheinlich nicht. Aber ich hab Schmuck. Eine ganze Menge. Bloß komm ich an den nicht ran. Der ist in meiner Wohnung, und die lässt Billy sicher von seinen Typen bewachen. Ich weiß nicht, was ich machen soll, aber mir fällt schon was ein.«
»Bleib hier, Josie.«
»Danke, dass Sie mir das vorschlagen«, erwiderte Josie, »aber das kann ich nicht. Ich könnte nicht mehr vor die Tür gehen, verstehen Sie. Ich würd’s nicht wagen, mich blicken zu lassen. Also müsste ich im Haus bleiben. Monatelang. Da würde ich durchdrehen.«
Jennie schwieg wieder. Sie zermarterte sich das Hirn, um sich etwas einfallen zu lassen, wie sie Josie am besten helfen könnte. Und helfen musste sie ihr. Sie konnte das Mädchen nicht allein weggehen lassen. Aufgrund der Schilderung von Maddens Prügeln war Jennie überzeugt, dass er den Job zu Ende bringen würde, wenn er sie erwischte. Sie dachte an Freunde, die sie im Süden, in der Nähe von Bristol, hatte. Und andere in Leeds und Liverpool. Sie würden ihr helfen, wenn sie sie darum bat, aber was, wenn sie ihre Freunde damit ebenfalls in Gefahr brächte? Sie brauchte ein Hotel, ein Haus, ein Cottage … irgendeinen abgeschiedenen und ruhigen Ort, aber weder Josie noch sie hatten das Geld, um dergleichen zu mieten. Und plötzlich fiel ihr die Lösung ein. »Binsey!«, rief sie aus.
»Was ist
Weitere Kostenlose Bücher