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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Fröhlichkeit, trotz des ganzen zur Schau getragenen Glücks noch immer von seinem alten Leben träumte.
    Sie hatte ihn eines Abends beobachtet, als er in ihrer neuen Wohnung eine Kiste mit seinen Sachen auspackte. Er nahm Fotos, einen Feldstecher, Bücher, Karten und einen alten, zerbeulten Kompass heraus. Er hielt den Kompass in der Hand und schloss dann die Finger darum. Dann ging er zum Fenster und starrte in den Nachthimmel hinauf.
    Er dachte an vergangene Abenteuer, dessen war sie sicher. Und an Willa Alden. Und sie war überzeugt, wenn ihm der Kompass in seiner Hand den Weg zu Willa zurück hätte weisen können, hätte er ihn eingeschlagen.
    Jennie legte die Hand auf den Bauch, wie ständig inzwischen, wenn sie sich nervös oder bedrückt fühlte. Wie immer betete sie, das winzige Leben möge bei ihr bleiben. Die Liebe einer Ehefrau, eines Kindes waren auch gute Dinge, redete sich Jennie ein, die besten eigentlich. Und mit der Zeit, wenn Seamie älter wäre und sie mehr Kinder hätten, würde er diese Dinge – und sie selbst – immer mehr schätzen, mehr als Abenteuer und andere Menschen.
    Ein Klopfen an der Haustür riss sie aus ihren Gedanken.
    »Dad? Bist du das? Was hast du wieder vergessen?«, rief Jennie und trat in den Gang hinaus. »Deine Brille, nicht wahr?«, sagte sie, als sie die Haustür aufmachte. »Wie oft …«
    Es war nicht ihr Vater auf der Schwelle. Sondern Josie Meadows, eine junge Frau, die sie früher unterrichtet hatte. Die Vorderseite ihres Kleids war mit Blut beschmiert und zerrissen. Aus einem Schnitt an ihrer Wange tropfte Blut, ihre Augen waren voller blauer Flecken und zugeschwollen.
    »Hallo, Schätzchen«, sagte Josie.
    »Josie?«, fragte Jennie. »Mein Gott, bist du das?«
    »Ja. Ich fürchte schon. Kann ich reinkommen?«
    »Natürlich!«, antwortete Jennie und bat sie herein. »Tut mir leid, aber ich … Josie, was um alles in der Welt ist dir denn passiert?«
    »Billy Madden ist mir passiert«, sagte die junge Frau und ging an Jennie vorbei in die Küche. Sie ging zur Spüle, steckte den Stöpsel in den Abfluss und drehte das Wasser auf. »Kann ich mich waschen?«, fragte sie. »Und mir ein Kleid leihen? Ich muss hier weg, bevor er herausfindet, wo ich bin. Der Dreckskerl hat gedroht, mich umzubringen.«
    Jennie sah, dass Josie zitterte. Aus der Wunde an ihrer Wange tropfte immer noch Blut. Auch ihre Nase hatte zu bluten begonnen. Die meisten Frauen in Josies Zustand hätten geheult. Aber nicht Josie. Josie Meadows war ein Mädchen aus Wapping, und die heulten nicht. Die waren hartgesotten, laut und zäh. Jennie hatte viele von ihnen unterrichtet und wusste, das Leben, das sie führten – das sie aushielten –, hatte sie so gemacht. Josie würde zittern, sie würde trinken, rauchen und fluchen, aber niemals heulen.
    »Setz dich«, sagte Jennie und drehte das Wasser ab.
    »Kann ich nicht, Schätzchen. Keine Zeit.«
    »Josie Meadows, du setzt dich. Sofort.«
    Josie lächelte, obwohl sie vor Schmerz zusammenzuckte. »Ja, Miss«, antwortete sie. »Sie kommen immer ans Ziel mit Ihrem Lehrerinnenton, was?«
    »Lass mich dir helfen, Josie. Wir kriegen schon alles wieder ins Lot. Aber jetzt setz dich bitte, bevor du mir umkippst.«
    Josie setzte sich an den Küchentisch, und Jennie stellte den Wasserkessel auf. Dann nahm sie eine Schüssel mit heißem Wasser, ein paar saubere Tücher und eine Flasche Jodtinktur und begann, Josies Gesicht zu reinigen. Sie versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie schockiert und wütend sie war, dass ein Mann eine Frau so schrecklich zurichten konnte. Dann machte sie Tee, stellte Tassen und Teller auf den Tisch, und als sie das Milchkännchen und die Zuckerdose abstellte, fragte sie Josie, was denn genau geschehen war.
    »Er hat mich geschwängert«, sagte Josie bitter. »Der Typ hat ja nie genug kriegen können. Ständig hat er seinen Schwanz rausgeholt. Mich immer und überall gevögelt – im Bett, im Bad, an der Wand … Ach, tut mir leid, Schätzchen! Hab ganz vergessen, wo ich bin. Also, jedenfalls hat er’s drei- oder viermal am Tag mit mir getrieben und dann die Unverschämtheit besessen, sauer auf mich zu sein – auf mich! –, als ich ihm sag, dass ein kleiner Billy junior unterwegs ist.« Sie griff in ihre Rocktasche, zog Streichhölzer und eine Zigarette heraus und zündete sie an. Sie nahm einen Zug, stieß einen langen Rauchschwaden aus und fügte hinzu: »Er will, dass ich’s wegmachen lasse. Damit seine Frau nichts

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