Die Wildrose
gesehen. Er ist im Wintergarten und freut sich wie ein Schneekönig.«
Fiona seufzte erleichtert auf. »Gut. Vielleicht geht doch alles ohne Zwischenfall über die Bühne.«
»Bestimmt. Vergiss die Sorgen und genieß den Tag.«
Fiona nickte. Sie schaute sich um, lächelte in diese und jene Richtung und winkte verschiedenen Leuten zu, die in den Reihen hinter ihr saßen. In fünfzehn Minuten würde ihr Bruder zwischen den Sitzreihen hindurch zu der Laube schreiten, die der Florist aufgebaut hatte, sich umdrehen und auf seine Braut warten. Es fühlte sich für sie irgendwie unwirklich an. Sie konnte kaum glauben, dass der Tag gekommen war, an dem der wilde, verwegene Seamie das Herumstreunen aufgab, einen Job in London und eine Frau gefunden hatte und solide und sesshaft werden würde. So lange Zeit hatte er Willa Alden nachgetrauert. Keine Frau war in der Lage gewesen, ihren Platz einzunehmen.
Und dann hatte er Jennie Wilcott kennengelernt, die sich von Willa unterschied wie Feuer und Wasser. Vielleicht genau das Richtige, um Willas Bann zu brechen. Jennie war blond und rosig, sanft und feminin. Sie hatte eine herrlich weibliche Figur und eine ruhige, aber entschiedene Art. Doch trotz all ihrer Süße und Lieblichkeit hatte sie Seamie gezähmt. Gott weiß, wie. Nun, eigentlich wussten es alle, dachte Fiona lächelnd – und der Grund würde in etwa acht Monaten zu sehen sein. Doch sie glaubte nicht, dass er Jennie heiratete, weil er es musste. Er wollte sie heiraten. Unbedingt. Das hatte er immer wieder bekräftigt.
So viele Male hatte sie sich gesorgt, dass es doch anders sein könnte, weil sie Seamies plötzlichen Wandel beunruhigend fand. Hatte er sich wirklich geändert? War er wirklich über Willa hinweg?
Erst vor ein paar Tagen hatte Fiona ihre Zweifel Joe gestanden. Der hatte genervt die Hände in die Luft geworfen. »Jahrelang hab ich nichts anderes von dir gehört, als wie sehr du dir wünschst, Seamie würde eine gute Frau kennenlernen und eine Familie gründen. Jetzt ist es passiert. Er hat eine sehr gute Frau gefunden. Und du machst dir immer noch Sorgen. Dir kann man’s wirklich nicht recht machen, Fiona!«
Vielleicht hatte Joe recht. Vielleicht war sie nie zufrieden. Und dennoch konnte sie das nagende Gefühl nicht leugnen, dass alles viel zu schnell gegangen war.
Sie sah auf ihre Uhr – noch zehn Minuten –, dann spürte sie plötzlich, dass sich ein Arm um ihre Schultern legte und ein Kuss auf ihre Wange gedrückt wurde. Sie blickte auf. Es war Maud. In Begleitung des charmanten und elegant gekleideten Max von Brandt. Fiona küsste Maud, begrüßte Max, und die beiden gingen zu ihren Plätzen.
Fiona sah, dass ein paar weitere Nachzügler sich setzten – die Shackletons, George Mallory und seine Verlobte Ruth Turner, Mrs Alden. Erneut blickte sie in die Gesichter von Verwandten und Freunden. Da waren Joes Eltern, Peter und Rose, seine Brüder und Schwestern und deren Kinder. Ihre eigenen schönen Kinder. Die Rosens, die Moskowitzes, Harriet Hatcher und ihre Eltern, Mr Foster, Freunde von Seamie – Männer, mit denen er gesegelt war – und Freundinnen von Jennie, die in ihren Frühlingskleidern und Hüten bezaubernd aussahen.
Eine sanfte Brise strich über Fionas Wange. Sie blickte nach oben, in der Hoffnung, es wäre kein Vorbote von Regen. Schließlich war es erst Anfang Mai und das englische Wetter sehr wechselhaft – aber nein, die Sonne schien nach wie vor. Der Himmel strahlte im schönsten Blau. Überall blühte es. Plötzlich fühlte sie sich so überwältigt von der Schönheit des Ganzen, dass sie sich wünschte, sie könnte die Zeit anhalten und diesen perfekten Frühlingstag für immer festhalten. Und ihr wurde klar, dass sie, statt sich ständig zu sorgen, statt immer nur nach Problemen Ausschau zu halten, dankbar sein und sich glücklich schätzen sollte, an solch einem freudigen Tag so viele geliebte Menschen um sich zu haben. Denn freudige Tage gab es nicht im Überfluss.
Vor Jahren hatte sie geliebte Menschen verloren. Um ein Haar auch fast Joe. Diese Verluste, der schreckliche Kummer, der damit einherging, hatten eine ständige Angst ihr ausgelöst, sie könnte einen weiteren geliebten Menschen verlieren. Deshalb gab sie sich zu oft düsteren Gedanken hin, malte sich schlimme Katastrophen aus und war blind für das Gute.
Und heute war ein guter Tag. Seamie hatte eine wundervolle Frau gefunden. Und wenn er ein bisschen überdreht war, hatte er allen Grund dazu. Sie war
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