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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Kaiser einen Rückzieher macht, sind sie alles Geld der Welt wert. Besser Geld als Menschenleben zu verlieren.«
    Burgess nickte. »Und wenn trotz aller Anstrengungen der Krieg nicht vermieden werden kann, welche Wahl treffen Sie dann?«
    »Dann gibt es keine Wahl, George«, antwortete Joe. »Dann gab es nie eine.«

   21   
    J ennie half ihrem Vater, sich für seine wöchentlichen Besuche in der Gemeinde fertig zu machen. »Hast du einen Schal, Vater?« fragte sie.
    »Ich brauche keinen, meine Liebe. Es ist sonnig heute.«
    »Und windig. Du brauchst einen. Hier, leg ihn um. Und zieh deinen anderen Mantel an. Der ist wärmer.«
    Reverend Wilcott lächelte. »Ach, meine liebe Jennie. Du kümmerst dich so gut um deinen alten Vater. Was mache ich bloß, wenn du fort bist?«
    »Nicht, Dad. Sonst fang ich wieder an zu weinen.«
    Er küsste sie auf die Wange. »Hoffentlich Freudentränen. Du wirst eine wunderschöne Braut sein. Ich hoffe nur, dass ich die Hochzeitszeremonie durchstehe, ohne selbst zu heulen. Und da wir gerade von der Hochzeit sprechen, ist mein bester Anzug vom Schneider zurückgekommen? Ich mache mir Sorgen, ob er rechtzeitig fertig wird.«
    »Er hängt in deinem Schrank, Dad. Ein Mann aus dem Laden hat ihn gestern hergebracht.«
    »Ah, gut. Also, ich geh dann mal.« In der Tür blieb er stehen und drehte sich noch einmal um. »Und du arbeitest heute nicht zu viel. Du musst dich schonen. Versprich mir das.«
    »Versprochen«, antwortete Jennie lächelnd.
    Sobald er die Tür hinter sich geschlossen hatte, ging sie ins Wohnzimmer und widmete sich ihrer Liste mit allen Besorgungen und Einladungen, die sie bis Sonntag noch erledigen musste.
    »Warum wird diese Liste bloß immer nur länger?«, fragte sie sich laut. Bis zur Hochzeit, die im Haus von Seamies Schwester in Greenwich stattfinden sollte, waren es nur noch fünf Tage, und es gab noch so viel zu tun. Nach dem Hochzeitsfest würden sie nach Cornwall in die Flitterwochen fahren – allerdings nur kurz, weil Seamie am folgenden Montag seine Stelle antreten musste. Nach ihrer Rückkehr aus Cornwall würden sie in eine hübsche, geräumige Wohnung in Belsize Park ziehen, die Seamie für sie gefunden hatten, aber sie hatten noch so gut wie keine Möbel, Teppiche und Vorhänge.
    Jennie war wegen der Vorhänge bei einer Näherin gewesen und hatte die Stoffe ausgesucht, aber es würde Wochen dauern, bis sie fertig wären. Wann immer sie sich wegen all der fehlenden Dinge sorgte, gab ihr Seamie einen Kuss und riet ihr, das Baby nicht zu beunruhigen. Er habe die Mittel und würde alles beschaffen, was sie brauchten.
    Und das tat er auch. Sie musste bloß irgendetwas erwähnen, schon lief er los und kam mit Besteck, Handtüchern oder Putzkübeln zurück – was immer sie wollte. Es mache ihm nicht das Geringste aus, das alles zu besorgen, sagte er. Er war noch nie einkaufen gegangen – zumindest keine Lampen und Möbelschoner – und fand alles sehr interessant. Er war immer so gut zu ihr. Immer fröhlich und hilfsbereit. Freute sich auf die Hochzeit. War ständig glücklich. Zu glücklich.
    Als sie jetzt aus dem Wohnzimmerfenster blickte, dachte sie, dass er sie manchmal an die Alkoholiker erinnerte, die bei ihrem Vater auftauchten – all die Männer und Frauen, die der Suff zerstört hatte. Sie hatten alles verloren – Arbeit, Zuhause und Familie. Sie zitterten und heulten und versprachen das Blaue vom Himmel, sogar für immer dem Dämon Alkohol abzuschwören, wenn er ihnen nur helfen würde. Und er half ihnen. Sie durften sich waschen, auf einer Liege in der Sakristei schlafen, und er versuchte, ihnen Arbeit zu beschaffen. Er betete mit ihnen und ließ sie einen Schwur leisten. Und seine Bemühungen hatten immer Erfolg – eine Weile lang. Sie strengten sich an, jeder Einzelne von ihnen. Waren eifrig, motiviert und voll der besten Absichten. Erzählten jedem, der es hören wollte, dass mit der Trinkerei endgültig Schluss sei. Aber tief in ihrem Innern kämpften sie und dachten an nichts anderes als ans Trinken. Sie träumten davon. Lechzten danach. Und viele schafften es nicht, der ständig gegenwärtigen Verlockung zu widerstehen, und wurden rückfällig.
    Seamie war genauso. Er wollte sein neues Leben mit offenen Armen annehmen. Er redete begeistert von seiner Stelle bei der Royal Geographical Society. Er hatte eine Wohnung gemietet, ein Bett, Wäsche, Besteck und Geschirr gekauft. Aber Jennie wusste, dass er trotz der vorgetäuschten

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