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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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»Er ist es, den wir eigentlich erwischen wollen. Unsere eigenen Agenten in Deutschland berichten uns, dass er äußerst geschickt sei. Ganz erschreckend sogar. Er habe bereits eine Menge wertvolles Material gesammelt und nach Berlin übermittelt. Unsere Agenten berichten uns auch, dass Deutschland bei der ersten Gelegenheit, die sich bietet, in Frankreich einmarschieren wird, und zwar über Belgien.«
    »Das ist doch Unsinn, George«, sagte Joe. »Das gibt’s doch nicht. Selbst wenn die Deutschen in Frankreich einmarschieren wollen, können sie das nicht über Belgien tun. Das wäre ein Bruch des Völkerrechts. Belgien ist neutral.«
    »Warum rufen Sie den Kaiser nicht an und sagen ihm das?«, fragte Burgess. »Andere – eine ganze Menge sogar – haben es schon versucht. Ohne Erfolg.«
    Er setzte sich gegenüber von Joe an den Schreibtisch, goss sich noch einen Scotch ein und lehnte sich zurück. »Ich mache mir Sorgen wegen Deutschland, Joe. Sehr große sogar. Auch der Mittlere Osten macht mir Sorgen. Wegen der wachsenden Freundschaft Deutschlands mit der Türkei, wegen der persischen Ölfelder Englands und ob wir in der Lage sind, sie zu verteidigen, wenn es zum Krieg kommen sollte. Wir haben auch dort Spione. Darunter ein paar sehr merkwürdige wie einen gewissen Thomas Lawrence. Sie haben die ganze verdammte Wüste kartografiert und mit vielen arabischen Führern Bündnisse geschlossen. Lawrence wurde erst vor zwei Wochen über seinen Einsatz befragt.«
    »Lawrence? Der junge Mann, der gerade einen Vortrag in der Royal Geographical Society gehalten hat?«
    »Genau der. Ein sehr wichtiger Vortrag übrigens. Weniger wegen der Ruinen, Felsen und Tonscherben, über die er endlos geschwafelt hat, sondern hauptsächlich deswegen, um den Eindruck aufrechtzuerhalten, er sei nichts anderes als ein leidenschaftlicher Archäologe.«
    Joe schob das Dossier über seinen Schreibtisch. »Was soll das alles?«, fragte er. »Warum die ganze Mantel-und-Degen-Scharade? Warum beordern Sie Albie hierher? Zeigen mir das Dossier? Erzählen mir von deutschen Spionen in London und britischen Spionen in der Wüste?«
    Burgess stellte sein Glas ab, beugte sich vor und sagte leise und eindringlich: »Weil ich verzweifelt hoffe, Ihnen damit den bitteren Ernst der militärischen Bedrohung vonseiten Deutschlands deutlich zu machen und die dringende Notwendigkeit Großbritanniens, sich ihr entgegenzustellen. Und zwar sofort.«
    Joe schwieg. Er wusste, George wollte eine Antwort von ihm, aber er konnte ihm keine geben. Er wollte seine Unterstützung bei dem Versuch, die militärische Verteidigung auszubauen. Alle Anstrengungen, alle Finanzmittel sollten nach Georges Meinung in die Verstärkung der Marine, der Armee und der neuen Luftwaffe fließen. Joe sollte aufhören, ihn zu bekämpfen, und keine Mittel mehr für soziale Reformprogramme fordern.
    Als hätte er seine Gedanken gelesen, sagte Burgess: »Wir in der Regierung müssen den Wählern ein Bild der Einheit liefern. Ich und viele meiner Freunde in der Liberalen Partei sind sich Ihres Einflusses auf die Arbeiterschaft sehr wohl bewusst, und ehrlich gesagt, wollen wir den für unsere Sache nutzen. Wir brauchen die öffentliche Meinung auf unserer Seite. Helfen Sie mir dabei, Joe, und ich helfe Ihnen. Ich werde Ihre Forderungen nach Sozialreformen und Mitteln für Schulen und Krankenhäuser unterstützen.«
    Joe hob eine Augenbraue. »Wann?«, fragte er.
    »Wenn der Krieg vorbei ist und wir ihn gewonnen haben«, antwortete Burgess.
    Joe wusste, was diese Bitte bedeutete – dass alle Projekte, die ihm und seinen Wählern am Herzen lagen, in einem Ausbruch von Kriegsbegeisterung untergingen. Die Frage des Frauenwahlrechts würde zur Nebensächlichkeit. Die Mittel für seine sozialen Programme – für Suppenküchen, Bibliotheken und Waisenhäuser – würden gestrichen. Und wer wären die Leidtragenden? Wer würde hungern und frieren? Nicht die Kinder der Wohlhabenden. Nicht die Asquiths, Cecils und Churchills. Sondern die Kinder von Ostlondon. Wie immer. Männer würden in den Krieg ziehen und nicht mehr heimkehren. Frauen würden ihre Ehemänner verlieren, Kinder ihr Väter.
    Nach einer Weile antwortete Joe endlich. »Ich will diesen Krieg nicht, George, und Sie müssen mir versprechen, alles zu tun, was in Ihrer Macht steht, ihn zu verhindern. Alles. Setzen Sie auf Diplomatie. Auf Handelssanktionen. Bauen Sie meinetwegen Ihre Schiffe. Zehn. Zwanzig. Wenn es zur Folge hat, dass der

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