Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
Vom Netzwerk:
gehen – hier in der Nähe muss es doch was Anständiges geben – und dann zu einer Party. Freunde von mir am Bedford Square geben ein Fest.«
    »Die Puppen tanzen lassen, Albie? Seit wann lässt du denn die Puppen tanzen?«, fragte Seamie.
    »Jeden Tag meines Lebens.«
    Seamie lachte. »Wirklich? Seit wann magst du Partys?«
    »Ich liebe Partys. Quantenphysik ist eine endlose Party.«
    Sie tranken aus, gingen in ein Pub, um sich noch ein paar Drinks zu genehmigen, und dann zum Bedford Square. Seamie bemerkte, dass Albie trotz seiner Scherze erschöpft aussah. Das sagte er ihm auch und fragte ihn, ob etwas nicht in Ordnung sei.
    »Die Beerdigung … die Arbeit … das alles hat mir ziemlich zugesetzt«, antwortete Albie. »Aber demnächst nehme ich mir frei. Fahre nach Bath oder sonst irgendwo hin und erhole mich. Im Moment jedoch muss ich auf Theakston’s Bitter und alte Freunde vertrauen, dass sie mir dabei helfen.«
    Seamie hatte genickt, war aber nicht überzeugt gewesen. Der Tod eines Elternteils und schwere Arbeitsbelastung konnten natürlich jeden aus der Bahn werfen, aber tief in seinem Innern spürte er, dass hinter Albies ständiger nervöser Anspannung mehr steckte, als sein alter Freund zugeben wollte. Vielleicht ist es Willa, dachte er, und Albie – rücksichtsvoll wie immer – wollte aus Taktgefühl nicht über sie sprechen. Er wusste, dass Willa nun ebenfalls im Haus ihrer Mutter wohnte. Vielleicht kamen sie noch immer nicht miteinander aus. Seamie überlegte, ob er Albie danach fragen sollte, aber er hatte genauso wenig Lust, über Willa zu sprechen, also ließ er es.
    »Sollen wir uns ins Getümmel stürzen?«, fragte Albie jetzt und sah sich im Raum um.
    »Nach dir«, antwortete Seamie mit einer übertriebenen Verbeugung und wunderte sich noch immer über die plötzliche Geselligkeit seines Freundes.
    Während sie die verschiedenen Räume des Hauses durchquerten, machte Seamie Bekanntschaft mit einer Schriftstellerin namens Virginia Stephens, deren Schwester Vanessa Bell, einer Malerin, und Vanessas Mann Clive, der Kritiker war. Er traf den Dichter Rupert Brooke, stieß mit Tom Lawrence zusammen, der gerade von Willas Vortrag kam und sich freute, ihn zu sehen, und plauderte dann mit einem Ökonomen namens John Maynard Keynes.
    Albie hatte ihm auf dem Weg erklärt, dass Lulu das Zentrum eines bunten Zirkels aus Künstlern und Intellektuellen namens Bloomsbury Group sei. »Das sind sehr fortschrittlich gesinnte Leute. Sie kümmern sich nicht sonderlich um Besitz, Moral oder dergleichen, soweit ich weiß.«
    Seamie genoss die Gesellschaft dieser Leute, ihre dramatischen Aufzüge und Gesten, aber jedes Mal, wenn sie herausfanden, wer er war, kam die Rede immer auf Willa und ihren Vortrag zu sprechen. Und nach einer Stunde beschloss Seamie, dass es ihm reichte. Er begab sich auf die Suche nach Albie – der gesagt hatte, dass er die Bekanntschaft von zwei deutschen Malern aus München machen wolle –, um sich von ihm zu verabschieden. Er konnte ihn bloß nirgendwo finden. Die Party war inzwischen laut geworden, immer mehr Gäste trafen ein, und es war schwierig, sich durch die Menge zu drängen.
    Eine Frau in einem langen Seidenkimono und Perlenschnüren um den Hals ging auf ihn zu und drückte ihn beim Kamin im Speisezimmer in die Ecke. »Sie sind Seamus Finnegan, nicht wahr? Ich kenne Sie aus der Zeitung. Waren Sie heute Abend in der Royal Geographical Society? Da komme ich gerade her. Ich habe diese umwerfende Willa Alden gesehen, die Karten vom Everest zeichnet. Sie hat einen großartigen Vortrag gehalten. Absolut faszinierend.«
    »Gütiger Himmel«, murmelte Seamie und versuchte verzweifelt, von der aufdringlichen Dame wegzukommen. Er entschuldigte sich. Der einzige Ort im ganzen Haus, wo sich keine Gäste drängten, war die Treppe auf der anderen Seite des Foyers. Mühsam bahnte er sich einen Weg durch die Menge, wurde eingekeilt und hätte fast eine marmorne Shakespeare-Büste mit Lorbeerkranz auf dem Kopf umgestoßen. Als er die Treppe erreicht hatte, stieg er ein paar Stufen hinauf und setzte sich. Von hier aus hatte er einen guten Überblick. Hier würde er warten, bis Albie vorbeikam, sich von ihm verabschieden und dann heimgehen.
    Während er wartete und sein Glas langsam leerte, ging die Haustür auf. Eine neue Gruppe junger, lärmender Leute stürmte herein – zwei Männer und eine Handvoll Frauen. Die Männer, in Anzügen und Mänteln, waren ziemlich angeheitert, und die Frauen in

Weitere Kostenlose Bücher