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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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anstrengend das sein kann.«
    »Über welches Thema, Mr Lawrence?«, fragte Willa und bemühte sich, ihre Höllenqualen zu verbergen und sich interessiert und höflich zu geben. Sie wollte weder durch ihr Bein noch durch ihre Schmerzen Aufmerksamkeit erregen. Sie wollte kein Mitleid.
    »Über Karkemisch. Die Hethiter. Derlei Dinge«, antwortete Lawrence. »Ich wollte bloß sagen, Sie müssen unbedingt einmal in die Wüste kommen. Da gibt es auch viel zu entdecken, ohne dass man dabei unter der Höhenkrankheit leiden muss.«
    »Ach, die Wüste ist nichts für unser Mädchen«, warf Strachey ein. »Sie bevorzugt unerreichbare Ziele. Sie jagt den Dingen nach, die sie nicht kriegen kann. Das ist furchtbar edel. Und unglaublich romantisch.«
    »Reden wir noch von einem Bergmassiv, Lytton? Oder über deinen neuesten Liebhaber?«, fragte Lulu süffisant.
    Alle lachten. Lulu lud Tom am nächsten Tag zum Lunch und Willa zum Abendessen ein. Lytton rauschte auf der Suche nach einem Drink davon. Leonard fand, dass Willa doch sicher am Verhungern sein müsste, und ging mit Virginia in die Küche, um ihr einen Teller zurechtzumachen, und so blieb Willa plötzlich inmitten der großen Party allein zurück.
    Gott sei Dank, dachte sie. Der Schmerz war inzwischen unerträglich geworden. Sie griff in ihre Jackentasche und zog das Pillenfläschchen heraus. Auf dem Boden neben der Shakespeare-Büste entdeckte sie eine halb geleerte Flasche Champagner, mit dem sie die Pillen runterspülen wollte. Natürlich hätte sie sich der Party anschließen und gesellig sein sollen, aber das konnte sie nicht, bevor sie die Schmerzen nicht unter Kontrolle hatte. Sie beschloss, sich eine Weile auf Lulus Treppe zu setzen. Bloß ein paar Minuten. Gerade lange genug, um die Pillen zu schlucken und ihr Bein zu entlasten.
    Mit steifem Schritt ging sie hinüber und sah, dass ihr jemand zuvorgekommen war. Ein Mann saß auf halber Höhe der Treppe und blickte sie an. Ihr Herz machte einen Sprung, als sie ihn erkannte – Seamie Finnegan, die Liebe ihres Lebens.
    »Seamie?«, fragte sie leise.
    Er hob sein Glas. »Glückwunsch, Willa. Wie ich höre, war der Vortrag ein großer Erfolg.«
    »Du bist nicht gekommen.«
    »Nein.«
    »Warum?«
    »Ich hatte zu tun.«
    Sie zuckte zusammen, als hätte sie eine Ohrfeige bekommen, fasste sich aber schnell wieder. Sie würde ihm nicht zeigen, wie sehr sie dies verletzte. Das stand ihr nicht zu. Sie war diejenige, die ihn verlassen hatte. Sie hatte kein Recht auf verletzte Gefühle.
    »Ja«, sagte sie bemüht leichthin. »Ich sehe, wie beschäftigt du bist. Der Vortrag war tatsächlich ein Erfolg. Ich habe auch ein paar äußerst interessante Leute kennengelernt. Eine ganze Reihe sogar. Hier treffe ich in einer Stunde mehr Leute als in Rongbuk im ganzen Monat.« Sie hielt inne und fügte dann lächelnd hinzu: »Entschuldige bitte, lässt du mich vorbei? Ich möchte mich ein bisschen frisch machen.«
    Seamie rückte ein Stück beiseite.
    »Schön, dich wiederzusehen«, sagte Willa.
    »Ja«, erwiderte er angespannt. »Schön.«
    Willa, die ihr Gewicht auf das gute Bein verlagert hatte, machte jetzt mit dem künstlichen einen Schritt vorwärts. Im selben Moment schoss ihr ein stechender Schmerz in die Hüfte. Sie schrie auf, stolperte, fiel hin und schlug hart auf einer Stufenkante auf. Dabei entglitten ihr die Champagnerflasche und die Pillen. Sofort war Seamie an ihrer Seite und half ihr wieder auf.
    »Was fehlt dir?«, fragte er alarmiert.
    »Mein Bein«, keuchte sie fast blind vor Schmerz. »Wo zum Teufel sind meine Pillen?«, fragte sie und sah sich verzweifelt um. »Siehst du sie irgendwo?«
    »Sie sind hier. Ich hab sie.«
    »Ich brauch sie. Bitte«, stieß sie gequält hervor.
    »Warte, Willa. Das ist nicht gut. Wenn dein Bein so schmerzt, solltest du liegen, nicht sitzen.«
    Sie spürte, wie er sie hochhob und die Treppe hinauftrug. Er klopfte an eine Tür, öffnete sie und trug sie hinein. Es war ein Schlafzimmer. Er legte sie aufs Bett und knipste eine Lampe an. Dann verschwand er kurz und kam mit einem Glas Wasser zurück.
    »Hier.« Er reichte ihr das Glas und öffnete das Pillenfläschchen. »Wie viele?«
    »Vier.«
    »Das ist eine Menge. Bist du dir sicher, dass …«
    »Gib mir die verdammten Pillen«, schrie sie.
    Er tat es. Sie schluckte sie, sank auf die Kissen zurück und hoffte verzweifelt, die Wirkung würde schnell einsetzen.
    Seamie ging zum Fußende des Betts und begann, ihre Stiefel aufzuschnüren.

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