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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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auch nicht so recht vorstellen kann, wie ich meine überaus korrekte Mutter davon überzeugen könnte, ihren Gatten an einen Schwarm Geier zu verfüttern.«
    Seamie lachte ebenfalls. »Er war ein guter Mensch, dein Vater. Und stolz auf dich. Stolz auf deine Kletterkünste. Darauf, was du am Kilimandscharo erreicht hast. Es hat ihn sehr bedrückt, als er von deinem Unfall hörte, dennoch war er stolz, dass du den Gipfel bezwungen hast. Ich erinnere mich, dass …« Plötzlich brach er ab, als hätte er sich vergessen und bedauerte, was er gesagt hatte.
    Willa, selbst ängstlich bemüht, nicht zur Sprache zu bringen, was am Kilimandscharo passiert war, sprang schnell in die Bresche, um das peinliche Schweigen zu überbrücken.
    »Du musst mir vom Südpol erzählen. Es muss großartig gewesen sein, an dieser Expedition teilzunehmen. Ich kann mir das nicht mal im Traum vorstellen. Zu tun, was du getan hast. Zu sehen, was du gesehen hast. Zu den Ersten gehört zu haben, die den Südpol erreichten. Einfach unglaublich. Du hast so viel erreicht, Seamie. Alles, was du dir je gewünscht hast.«
    Seamie blickte auf die Mullbinde in seiner Hand und antwortete nicht gleich. Dann sagte er: »Nein, Willa, nicht alles. Ich habe dich nicht.«
    Willa, von der Trauer in seiner Stimme ergriffen, brachte kein Wort über die Lippen.
    »Ich habe mir geschworen, dich nie wiederzusehen«, sagte er. »Nie darüber zu sprechen. Aber jetzt bist du da. Und ich muss es wissen. Acht Jahre lang wollte ich wissen, wie du das tun konntest, Willa. Wie du mir sagen konntest, dass du mich liebst, und mich dann zu verlassen?«
    Willa spürte einen sengenden Schmerz bei seinen Worten. Seine Qual – die Qual in seiner Stimme und seinem Herzen – taten mehr weh als ihr Bein, mehr als damals der Sturz von dem Berg. Mehr als jeder Schmerz, den sie je empfunden hatte. »Ich war wütend«, erwiderte sie ruhig. »Ich habe dir die Schuld gegeben für das, was passiert ist, für den Verlust meines Beins. Und ich war neidisch. Du konntest immer noch klettern. Ich nicht mehr.«
    »Mir die Schuld gegeben?«, fragte er mit erhobener Stimme. »Mir die Schuld gegeben?« Er stand auf, sein Gesicht war vor Zorn verzerrt. »Was hätte ich denn tun sollen?«, schrie er. »Was zum Teufel hätte ich denn tun sollen? Dich sterben lassen?« Wütend schleuderte er die Mullbinde durch den Raum, dann stieß er die Schüssel vom Nachttisch, und überall spritzte blutgetränktes Wasser herum.
    »Was hätte ich denn tun sollen?«, schrie Willa zurück. »So tun, als wäre alles bestens? Nach England zurückkehren? Eine hübsche Hochzeit in der Kirche feiern? Kochen, nähen und die Hausfrau spielen, während du zum Südpol fährst? Lieber wollte ich sterben!«
    »Nein«, antwortete Seamie mit brüchiger Stimme. »Das hat niemand von dir erwartet. Aber du hättest mit mir sprechen können. Das ist alles. Einfach mit mir reden. Statt abzuhauen und mir das Herz zu brechen.«
    Willa ballte die Hände zu Fäusten und drückte sie auf die Augen. Der Schmerz in ihrem Innern schien sie zu zerreißen. Sie griff nach ihrer Prothese und begann, sie wieder anzuschnallen, weil sie unbedingt fortwollte.
    »Geh nur, Willa. Lauf weg. Das ist es, was du am besten kannst.«
    Willa drehte sich zu ihm um, in ihren Augen standen Kummer und Zorn. »Es war falsch von mir! Ja?«, schrie sie. »Das weiß ich. Das weiß ich schon seit acht Jahren. Ich wusste, dass ich einen Fehler machte, als ich in den Zug nach Nairobi stieg, aber ich konnte nicht zurück. Es war zu spät. Ich hatte Angst – Angst, dass du mich nicht zurückhaben wolltest nach dem, was ich getan hatte.«
    Seamie schüttelte den Kopf. »Ach, Willa, ich liebe dich, um Himmels willen. Ich liebe dich immer noch.«
    Willa begann zu weinen. »Ich liebe dich auch, Seamie. Ich hab nie aufgehört, dich zu lieben. Du fehlst mir jeden Tag, seitdem ich in diesen Zug gestiegen bin.«
    Seamie durchquerte das Zimmer, nahm ihr tränennasses Gesicht in die Hände und küsste sie. Sie zog ihn aufs Bett hinunter. So saßen sie sich gegenüber und sahen sich an. Willa lachte, dann weinte sie wieder. Dann küsste sie ihn heftig und wühlte mit den Fingern durch sein Haar. Ihn wieder in den Armen zu halten, ihn so nahe bei sich zu spüren war reine Freude. Eine Freude – so wahnsinnig, berauschend und gefährlich –, wie sie sie acht lange Jahre nicht mehr gespürt hatte.
    »Ich liebe dich, Seamus Finnegan«, sagte sie. »Ich liebe dich, ich liebe dich, ich

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