Die Winde von Darkover - 13
er ein Pferd stehlen mußte, aber wenn er lange genug lebte, würde er es zurückbringen oder dafür bezahlen. Er kannte ein Darkovaner-Sprichwort: Am Rande der Ewigkeit wird alles verstanden und verziehen.
Er lauschte. In einer Stunde würden die Ya-Männer verschwunden sein. Ein alter Instinkt jagte sie wieder in ihre Höhlen zurück. Der Wind ließ aber allmählich nach. Dann und wann herrschte sogar einen Augenblick eine unheimliche Ruhe, und wenn auch nachher das Heulen in der alten Schaurigkeit wieder anhob, so wurden die Pausen dazwischen doch allmählich länger. Als er durch das Fenster spähte, bemerkte er, daß die Lichtung leer war, Eine halbe Stunde später kamen die anderen herauf, um zu Bett zu gehen. Einer rief: „Barron, alles in Ordnung?“ Er murmelte nur eine verschlafene Antwort.
Kurze Zeit später hörte er das Schnarchen der Männer aus dem großen Schlaf räum. Er sah zum Fenster hinaus. Nebel stieg auf, und bald würde es regnen. Der Regen schwemmte die Pollen weg, und die letzten Spuren des Geisterwindes verschwanden.
Nach etwa einer weiteren Stunde huschte er auf Zehenspitzen nach unten. Von dem Essen, das fast unberührt auf dem Tisch stand, stellte er ein Paket zusammen. Es war nicht schwierig, die Barrikaden zu entfernen und hinauszuschlüpfen.
Er suchte nach einem Werkzeug, mit dem er den verbarrikadierten Stall aufbrechen konnte. Es war gut, daß der Stall ein Stück vom Haus entfernt war, denn sonst hätte sein ungeschicktes Hantieren den einen oder anderen Schläfer aufgeweckt. Im Stall war es dunkel und warm vom vertrauten Geruch der Pferde. Sein Pferd erkannte ihn und schnupperte. Er redete leise mit ihm, als er den Sattel auflegte. „Ganz leise, mein Freund. Wir haben einen weiten Weg vor uns. Du hast Angst vor der Dunkelheit? Ich nicht, mein Freund, habe also keine Angst.“
Am Zügel führte er das Pferd hügelab. Welchen Weg mußte er nun einschlagen? An jener Burg vorbei, die hoch auf dem Berg stand, über die Bergkette dahinter, bis er den Fluß Kadarin erreichte. Von dort aus lag die Straße nach Carthon klar vor ihm.
Er war warm gekleidet, hatte ein gutes Pferd und genügend Geld. Einen kurzen Gedanken verschwendete er an Barron. Es tat ihm leid, dem Erdenmenschen das antun zu müssen, doch er hatte keine Wahl. Er wußte, auf Darkover war es ein schweres Verbrechen, den Geist eines anderen zu stehlen. Man konnte das nur mit einem latenten Telepathen tun, denn jeder richtige Telepath hätte es sofort bemerkt und sich dagegen abgeriegelt. Einen Idioten hatte er leider nicht gefunden, dessen Geist er hätte stehlen können, und als sein Geist in einer Trance der Verzweiflung ausgriff und in den Unendlichkeiten des Raumes herumtastete, war seine Hand auf Barron liegengeblieben.
Waren die Terraner denn Menschen? Und spielte es eine Rolle, was diesen Eindringlingen zustieß? Barron, der Eindringling, war eine gute Beute.
Was konnte ich sonst tun, blind und hilflos wie ich bin?
Dort, wo der Pfad zur Station auf das Sträßchen stieß, stieg er auf. Er saß im Sattel und war auf dem Weg. Für den Bruchteil einer Sekunde tauchte Barron aus dem Meer des Unterbewußtseins auf und wunderte sich, was er in der Nacht hier zu suchen hatte, warum der eisige Wind um sein Gesicht pfiff. Wohin war er unterwegs? Und warum? Dann verschwand er wieder in unauslotbaren Tiefen.
Der Reiter drückte seinem Pferd die Absätze in die Flanken. Er war nicht schläfrig, eher auf euphorische Weise hellwach. Er hatte etwas zu tun. Und er mußte es selbst tun. Er fand eine Lichtung, stieg ab und band sein Pferd mit einer Hoppelleine an einen Baum. Er selbst rollte sich in eine Decke und schlief. Nach einer Stunde wachte er wieder auf, aß ein paar Bissen aus seiner Satteltasche und ritt weiter.
Seitenwege fern von der Straße waren ihm lieber. Valdir durfte ihn nicht finden. Er hatte mit den Storns nichts zu tun und würde ihnen vielleicht auch gar nicht helfen wollen. Von den Comyn mußte er sich unter allen Umständen fernhalten.
Gegen Mittag zogen Wolken auf. Wie erreichte Melitta Carthon? Sie kam von der entgegengesetzten Seite an den Kadarin. Ob sie noch die Pässe würde überwinden können? Dort mußte schon Schnee liegen. Und es gab Banditen, Waldmänner und die grauenhaften Todesvögel. Und er konnte ihr jetzt nicht helfen. Er konnte nur eines tun - sicher nach Carthon gelangen.
In einem Dorf kaufte er ein paar Früchte, trank Wasser und fragte nach dem Weg. Nachts wickelte er sich in seinen
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