Die Winterchroniken von Heratia 1 - Der Verfluchte (German Edition)
ist?«, fragte Serrashil ungläubig nach.
Der Utera zuckte mit den Schultern. »Das übliche Verurteilungsblabla. Nichts, was mich sonderlich zu interessieren hat.«
»Doch, hat es! Ihr seid ein Großmeister und müsst mit darüber bestimmen, wie das Urteil ausfällt«, rief ihm Serrashil fassungslos ins Gedächtnis. Seran war verantwortungsloser, als sie geglaubt hatte. Als er nichts darauf erwiderte, blieb sie stehen. Es hatte keinen Sinn, ihm hinterherzulaufen. Er wusste bestimmt selbst nicht, wohin ihn seine Wege führten. Serrashil wandte sich um und wollte zurückgehen, krachte jedoch gegen eine unsichtbare Mauer. Erschrocken fuhr sie zurück und hielt sich mit tränenden Augen die schmerzende Nase.
»Einbahnstraße, wie es aussieht«, kommentierte Seran einige Schritte weiter.
»Was habt Ihr gemacht? Lasst mich gehen!« Serrashil schlug vor sich in die Luft und stieß auf einen Widerstand, der einer Mauer glich. Sie wusste nicht, ob sie sich zuerst aufregen oder ängstigen sollte. Hatte Seran diese unsichtbare Mauer geschaffen oder war sie eine Eigenheit des Schulgebäudes, dem man ebensowenig über den Weg trauen konnte, wie dem verrückten Großmeister? Und wenn er es war, warum tat er das?
Plötzlich zog etwas am Kragen ihrer Kutte und riss sie vorwärts. Mit einem Aufschrei sauste Serrashil durch die Luft auf Seran zu, ehe der Griff auf seiner Höhe schlagartig verschwand und sie vom Schwung vornüber zu Boden gerissen wurde. Reflexartig rollte sie sich ab, sprang auf die Beine und blieb in Kampfhaltung vor Seran stehen.
»Was soll das?«, fauchte sie wütend. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Carath hatte Recht gehabt, als er sagte, dass man Utera nicht trauen konnte.
Unbeeindruckt schritt Seran an ihr vorbei. »Komm. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«
Aufgebracht strich Serrashil ihre Kutte sauber und folgte dem Großmeister mit zwei Schritten Abstand. Was blieb ihr anderes übrig? Er konnte sie jederzeit wieder gegen eine Mauer rennen lassen oder mit sich mitschleifen, wenn es sein musste.
»Wohin gehen wir?«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»In den Kerker. Dorthin willst du doch, oder irre ich mich?«
»Zum Kerker geht es in die andere Richtung.« Serrashil starrte auf Serans Rücken. Natürlich war es gut möglich, dass es von der Hohen Schule aus einen Zugang zum Kerker gab – auch wenn ihr diese Vorstellung nicht gerade behagte –, aber warum sagte Seran ihr nicht einfach, was er vorhatte? Sie seufzte resignierend. Vermutlich bereitete es ihm einfach sadistische Freude, seine Schüler im Unklaren zu lassen und dabei seine Späße mit ihnen zu treiben.
»Warum seid Ihr nur so?«, wagte sie leise auszusprechen. Vor Seran hielt Serrashil zwar lieber beträchtlichen Abstand, aber er war der Großmeister, der ihr am wenigsten großmeisterhaft erschien. Zumindest erwartete sie bei ihm nicht, dass er sie für unangebrachtes Benehmen ihm gegenüber tadelte.
»Wenn ich nicht ich wäre sondern jemand anderes, wäre ich lieber ich.«
»Ist es so toll, …« Gerade noch konnte Serrashil verhindern, ihren Satz mit »verrückt zu sein« zu beenden, und tarnte ihre Unachtsamkeit mit einem Hustenanfall. Ganz so viel sollte sie sich nun doch nicht erlauben. »Ist es so toll, ein Großmeister zu sein?«, fragte sie stattdessen mit einem scheinheiligen Lächeln.
Seran zuckte mit den Schultern. »Ich kann mir morgens meinen Kaffee selbst aufwärmen.« Er hielt ihr seine offene Hand hin und zögerlich legte Serrashil ihre Handfläche auf die seine. Die Haut unter ihrer war zunächst kühl, wurde dann angenehm warm und schließlich so heiß, dass sie ihre Finger wegzog, ehe sie sich verbrannte.
»Praktisch.« Serrashil blies sich auf die Finger.
»Ich kann Schüler herumscheuchen und mich darüber amüsieren, wie sie sich beim Erlernen von Gedankenmagie anstellen. Nein, ich habe an meinem Leben nichts auszusetzen.«
»Vermisst Ihr nicht hin und wieder Euer ruhiges Leben im Wald?«, fragte Serrashil, als ihr das Gespräch mit Mashdin über die Unsterblichen in den Sinn kam.
»Du meinst bei diesen Hinterwäldlern, die den lieben langen Tag nur auf ihren Bäumen sitzen?« Seran schnaubte abfällig. »Ich kann das Leben dort nicht vermissen, weil ich es nie geführt habe. Als ich unter Meinesgleichen lebte, gab es den Wald in seiner jetzigen Form noch nicht. Damals gab es dort prächtige Städte mit Vorrichtungen, die du dir in deinen kühnsten Träumen nicht vorzustellen
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