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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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So eine Freude!«
    Sie hatte uns immer schon gemocht, seit wir ihren Herrn heil aus Polen zurückgebracht hatten. Oder er uns, wie man’s nehmen mochte.
    Wir grüßten und schüttelten ihr die Hand, wobei ihr Blick auf Jade fiel. Dorothea hob misstrauisch eine Augenbraue, hielt aber ihre Neugier im Zaum.
    »Verzeihen Sie die späte Störung, Dorothea«, sagte Jakob. »Aber der Weg hierher war lang und die Stunde unserer Ankunft nicht abzusehen. Können wir den Herrn Geheimrat sprechen, jetzt gleich?«
    Sie schüttelte bedauernd den Kopf. »Herr Goethe ist außer Haus.«
    »Darf ich fragen, wann er wiederkommt?«
    Die Dienstmagd hob die Schultern. »Er und seine Gäste wollten einen Spaziergang machen.«
    »Einen Spaziergang? Um diese Zeit? Und bei dieser Kälte?«
    Dorothea lächelte. »Sie kennen ihn doch. Er hat manchmal eigenartige Einfälle.« Sie beugte sich vor und senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Und, mit Verlaub, seit er ins höhere Alter kommt, häufen sich solche Geistesblitze.«
    »Wann ist er aufgebrochen?« Ich hatte Mühe, ruhig zu bleiben.
    Zum ersten Mal verdunkelte sich ihr Blick. »Ist etwas geschehen?«, fragte sie sorgenvoll. »Ein Unglück? Kommen Sie doch erst einmal herein. Ich werde gleich Frau Christiane wecken. Sie schläft schon, wissen Sie. Steht früh auf, geht früh zu Bett.«
    Jakob mühte sich ein freundliches Lächeln auf die Lippen. Äußerlich bewahrte er seine Gelassenheit. »Machen Sie sich keine Gedanken um uns, Dorothea. Wir werden ein wenig durch die Straßen reiten und sehen, ob wir Herrn Goethe begegnen.«
    »Sie wollen nicht lieber im Warmen auf ihn warten? Ich koche Ihnen einen Kräutertee«, erbot sich die Magd mit freundlichem Lächeln und fügte schnell hinzu: »Ihnen und selbstverständlich Ihrer Begleiterin.« Noch ein abschätzender Blick in Jades Richtung.
    »Danke, vielen Dank«, lehnte Jakob eilends ab. »Wir wollen Ihnen keine Mühe bereiten. Aber, sagen Sie, nach wie vielen Personen müssen wir Ausschau halten? Sie sprachen von Gästen …«
    »Oh, ja«, entgegnete Dorothea. »Sie sind alle zusammen gegangen. Ich habe sie nicht genau sehen können – sie kamen nach Einbruch der Dämmerung, und der Herr hat selbst die Tür geöffnet. Aber alles in allem sind sie wohl zu sechst. Einschließlich des jungen Herrn, der erst vor ein paar Stunden ankam. Er hatte ein großes Bündel dabei, vielleicht wird er eine Weile bleiben, wer weiß?« Und ein wenig beleidigt ergänzte sie: »Der Herr ist so zerstreut. Er vergisst, mich auf Gäste vorzubereiten, wissen Sie? Und dann stehe ich da, mit unbezogenen Betten, zu wenig Essen in der Vorratskammer und, und, und …« Ein Seufzer unterstrich den Ernst ihres Kummers.
    Jakob nickte mitfühlend. »Wir werden sehen, ob wir Sie finden. Bis später, Dorothea. Und haben Sie Dank.«
    Damit trat er zurück zu den Pferden. Als wir aufstiegen, fragte Dorothea noch einmal: »Und ich kann Sie nicht mit einem heißen Trunk an den Ofen locken?« Mütterlich sah sie uns nach.
    »Ein andermal« rief ich ihr zu, dann ritten wir los, eine schmale Gasse hinab, die an Goethes Haus vorbei nach Osten führt. Nachdem wir uns außer Hörweite befanden, zugehen wir die Pferde.
    »Sechs Männer!«, stieß ich mit mühsam gesenkter Stimme aus. »Herrgott, wir sollten machen, dass wir hier wegkommen.«
    »Der Mann mit dem Bündel, das ist Stanhope, nicht wahr?«, fragte Jade.
    Jakob atmete tief und schloss einen Moment lang die Augen. »Das würde bedeuten, dass es wahr ist. Stanhope ist wirklich nach Weimar geflohen. Sein Ziel, sein Auftraggeber, das war Goethe.«
    »Er und diese vier anderen«, fügte ich hinzu. »Die fünf Spitzen des großen Pentagramms.«
    »All das mystische Brimborium um den Quinternio, die Verschleierung, die Aura das Okkulten – es würde zu ihm passen«, sagte Jakob.
    »Aber Goethe verabscheut jede Art von Mystizismus«, warf ich ein.
    »Und er kennt seine Macht. Überzeugung und Nutzen sind zwei Paar Schuhe. Aber warten wir ab, bis wir mit ihm gesprochen haben.«
    »Du willst ihn wirklich suchen?«, fuhr ich auf. »Lieber Himmel, Jakob – Stanhope hat diesem Kutscher die Haut abgezogen, er hat die Amme erdrosselt und mindestens einen Soldaten erstochen. Und du willst es mit ihm aufnehmen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich will mit Goethe reden, nicht mit Stanhope. Glaubst du wirklich, wir haben schon alles erfahren? Nichts haben wir! Wir haben uns ein paar Dinge zurechtgelegt, ja sicher. Aber wissen wir die volle

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