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Die wir am meisten lieben - Roman

Die wir am meisten lieben - Roman

Titel: Die wir am meisten lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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strich seine blaue Krawatte glatt und ging auf Ray zu. Der Kerl sah so elegant aus wie nie. Der graue Anzug war maßgeschneidert, das perfekte Dreieck eines blassblauen seidenen Tuches lugte aus der Brusttasche. Das Haar hatte er zurückgekämmt, die Augenbrauen teuflisch buschig, ein bleistiftdünner Lippenbart über dem perlweißen Lächeln.
    »Ray! Entschuldigen Sie, dass Sie so lange warten mussten.«
    Ray stand auf und reichte Warner die Hand.
    »Kein Problem, Colonel. Schön, Sie zu sehen.«
    »Ganz meinerseits. Kommen Sie herein.«
    Ray nahm seine Aktentasche und folgte Warner am Drachen vorbei in das Vorzimmer, wo Blondie ihm wieder ein Lächeln zuwarf, dann weiter in das Büro des großen Mannes mit dem |193| majestätischen Schreibtisch und der Castingcouch. Colonel Jack ließ sich auf seinem Thron hinter dem Schreibtisch nieder, und Ray saß davor, auf einem weitaus niedrigeren Stuhl. Auch das gehörte zu diesem verdammten Spiel. Man sollte sich klein und unsicher fühlen.
    Die Verabredung war vor einem Monat getroffen worden, als sie sich mittags in der Studiokantine über den Weg gelaufen waren. Ray hatte gesagt, es wäre nett, sich bei Gelegenheit mal zu unterhalten, über die Zukunft und all das, und der Colonel hatte erklärt, er habe sich sowieso schon melden wollen. Ray hatte das so gedeutet, dass der Alte endlich zu Verstand gekommen war und ihm einen richtigen Film anbieten würde.
    Ray war vorbereitet und hatte das Drehbuch mitgebracht, das ihm Steve Shelby geschickt hatte. An Rays Rolle musste gefeilt werden, aber für einen ersten Entwurf war es nicht schlecht. Er zog es aus der Aktentasche und legte es auf den Tisch. Jack Warner saß zurückgelehnt, sah ihn an, Zeigefinger und Daumen zu einem Dreieck geformt.
    »Also, wie steht’s, Colonel?«
    »Ach, wissen Sie! Schwer ruht das Haupt
,
das eine Klosettbrille drückt.«
    Ray hatte das schon früher gehört, er lächelte trotzdem geflissentlich. Warner sah auf seine Uhr und setzte sich auf.
    »Ray, kurz nach halb muss ich in eine Vorstandssitzung, am besten, wir kommen gleich zur Sache.«
    »Okay, nun, ich habe ein oder zwei –«
    »Wir werden
Sliprock
rausnehmen.«
    Ray starrte ihn einen Moment lang an.
    »Sie werden was?«
    »Sie wissen so gut wie ich, dass wir nicht mehr die Zuschauerzahlen haben. Der Sender ist unzufrieden.«
    »Ja, Colonel, die letzten Zahlen, die ich gesehen habe, waren nicht –«
    |194| »Es ist nicht Ihre Schuld. Die Serie ist einfach zu altmodisch.«
    »Also, genau das sage ich seit langem. Ich habe den Idioten zu erklären versucht –«
    »Welchen Idioten? Dan und Lew sind gute Produzenten.«
    »Sorry. Aber ich habe ihnen gesagt, wir müssen was Neues bringen. Ein paar mutigere Drehbücher besorgen. Man muss sich nur
Wagon Train
ansehen. Ein paar Leute ranholen, die das Zeug schreiben. Ein paar jüngere hier in der Stadt sind ziemlich angesagt. Und sie kosten auch nicht viel. Colonel, glauben Sie mir, ich habe mir Fransen an den Mund geredet –«
    »Ray, hören Sie mich an. Wenn ein Schiff sinkt, dann kümmert man sich nicht mehr um die Möbel.«
    Ray traute seinen Ohren nicht.
    »Die Tage des Western sind gezählt.«
    »Also, Colonel, ich glaube nicht, dass das je –«
    »Ich sage es Ihnen. Die Leute wollen sie nicht mehr. Verstehen Sie mich nicht falsch. Das wird nicht morgen geschehen. Die guten Serien –
Wagon Train
und
Bonanza
– laufen noch eine Weile. Aber in zehn Jahren wird es keinen einzigen Western mehr geben. Merken Sie sich meine Worte!«
    Eine lange Pause entstand. Ray schüttelte den Kopf.
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Aber, zum Teufel, wissen Sie, vielleicht ist das die Chance. Um die Wahrheit zu sagen: Darum bin ich heute hier. Mich hat es schon immer gejuckt, in einem Film mitzuspielen. Ich meine, keinen Western für den Samstagnachmittag, ich meine einen richtigen Film –«
    Der Colonel seufzte leise und besah sich seine Fingerspitzen. Ray nahm das Drehbuch. Seine Hand zitterte. Plötzlich war er verzweifelt. Wie ein kleines Kind.
    »… und ich habe ein paar tolle Ideen. Um ehrlich zu sein, ich habe das Drehbuch hier, vielleicht genau das richtige –«
    »Ich werde einen Blick hineinwerfen.«
    »Der Junge, der es geschrieben hat, Steve Shelby, ich sag’s |195| Ihnen, Colonel, der kann was. Herb Kanter ist der Meinung, er ist so eine Art Genie –«
    »Sicher. Sicher. Wir werden es uns ansehen. Aber ich muss Ihnen sagen, Ray, nach dieser Saison werde ich Ihren Vertrag nicht

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