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Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Titel: Die Witwen von Paradise Bay - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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einfach keins, es war Sommer, und Ches arbeitete nur im Herbst und Winter und manchmal im Frühling, wenn es kalt genug für die Eisbahn war. »Ich kann meine Eltern fragen«, sagte ich damals. »Sie werden ihr einziges Enkelkind schon nicht verhungern lassen.« Doch das machte Ches so grimmig, dass er mit der Faust die Schlafzimmerwand durchschlug und sagte, meine Eltern sollten sich zum Teufel scheren. Ich konnte ihm keinen Vorwurf machen. Meine Eltern hassten Ches. Nicht, weil er mich geschwängert hatte. Das konnten sie ihm verzeihen. Was sie nicht verwinden konnten, war die Eheschließung.
    Ich fütterte Marianne die nächsten drei Male mit Kuhmilch und sah mit unerträglich schlechtem Gewissen zu, wie sich meine kleine Tochter vor Schmerzen krümmte und dann die Hälfte wieder ausspuckte. Die Grenze war erreicht, als ich Marianne eines Morgens zwei Stunden lang in ihrer nassen Windel liegen ließ, weil ich nur noch zwei saubere hatte. Bei der Vorstellung, dass sich Mariannes babyweiche Haut an der uringetränkten Windel scheuerte, musste ich weinen. Ich fragte mich, was Ches eher ertragen könnte: sich an meine Eltern zu wenden oder an das Sozialamt. Beides bedeutete einen Angriff auf seinen Stolz, aber das Wohlergehen meiner Tochter war wichtiger. Schließlich bat ich meinen Vater um Hilfe und drängte ihn zugleich, es Ches nicht zu sagen. Mein Vater versuchte mich zu überzeugen, Ches zu verlassen, doch ich war voller idealistischer Hoffnung, dass wir es schaffen würden. Am Ende lenkte mein Vater ein und gab mir 200 Dollar.
    Ches fand es heraus. Das war leicht, denn plötzlich klagte ich nicht mehr über Geldsorgen. Wenn ich ihn weiter bedrängt hätte, wäre es ihm wahrscheinlich kaum aufgefallen, aber ich hatte nicht die Energie, ständig mit ihm zu streiten. Er war, wie erwartet, stinksauer, nahm mir das Geld ab und ging zur Legion. Er betrank sich so sehr, dass er auf dem Rückweg im Straßengraben schlappmachte und von drei Saufkumpanen nach Hause getragen werden musste. Ich verließ ihn am nächsten Tag, noch während er seinen Rausch ausschlief. Ich blieb einen Monat mit Marianne bei meinen Eltern, versprach meiner Mutter, nicht zu Ches zurückzugehen, und wusste innerlich, dass ich es am Ende doch tun würde.
    Als Ches zu uns kam, sah er furchtbar aus, als würde er ohne uns verkümmern. Er war bleich, unrasiert und hatte abgenommen. Er wollte unbedingt Marianne auf den Arm nehmen, was schon seltsam war, denn sonst hatte er meine Bitte, mir Marianne abzunehmen, immer abgelehnt, besonders wenn sie weinte, quengelig war oder eine frische Windel brauchte.
    »Ich mache einen Lehrgang«, verkündete er. »Sicherungsposten. Dann find ich auch im Sommer Arbeit. Im Sommer wird immer irgendwo gebaut, und ich kann sicher hier und da mal ein paar Stunden arbeiten. Wir kommen schon klar«, versprach er und schluckte nervös. Sein Adamsapfel wanderte an seinem stacheligen Hals auf und ab. Natürlich hat er sich niemals bei einem Lehrgang angemeldet, sich niemals um einen Job im Baugewerbe bemüht, aber in dem Moment hatte ich das Gefühl, dass er mich brauchte, obwohl er mir versicherte, er wolle sich um uns kümmern. Ich packte meine Sachen, und meine Eltern brüllten dazu, ich würde diese Entscheidung bereuen. Natürlich hatten sie recht, aber ihnen ging es weniger um mein Wohlergehen als darum, recht zu behalten.
    Ches hat mich gebraucht, weil nur ich ihm das Gefühl gegeben habe, etwas wert zu sein. Das ist lange her, und in letzter Zeit war mir Ches kaum etwas wert. Ich habe meinen Mann nicht getötet, aber ich fühle mich trotzdem verantwortlich. Und nun sitze ich ohnmächtig da mit all meinen Schulden, finde keine Arbeit, und gestern Abend ist auf der hinteren Veranda auch noch eine Glühbirne kaputtgegangen, und ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ich sie wechseln soll. Ches beobachtet mich sicher vom Himmel oder von der Hölle aus und lacht sich ins Fäustchen. Na, wer ist hier der Dumme?
    Nach einer halben Stunde bekommt Georgia endlich die Suppe und den Kuchen, obwohl die Suppe wahrscheinlich schon seit Stunden auf dem Herd steht. Die Kellnerin wirkt gehetzt und entschuldigt sich. Es fehle an Personal.
    »Meine Freundin Lottie sucht gerade einen Job«, informiert Georgia die Kellnerin und öffnet dabei ein Paket Cracker. Mir ist das furchtbar peinlich. »Vielleicht kann sie ja mit dem Geschäftsführer sprechen.«
    »Ich sag ihm hinten Bescheid«, erwidert die Kellnerin und rauscht unter den

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