Die Wölfe vom Rock Creek - Alaska Wilderness ; 2
sich sogar die Nummer des Pick-ups gemerkt, nur für den Fall, dass wir zu spät gekommen wären.«
Julie sagte die Nummer auf.
Erhart grinste zufrieden. »Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann. Nur diese emotionalen Ausbrüche sollten Sie sich verkneifen. Wir sind alle Ihrer Meinung. Diese Wolfskiller gehören zum Abschaum der Menschheit und ich würde die beiden am liebsten für ein paar Jahre hinter Gitter bringen. Aber in der Gegenwart der Beschuldigten sollten Sie immer cool bleiben. So wie John Wayne in Rio Bravo, als er allein aus dem Saloon kam und … «
»Wir kennen den Film, Ranger Erhart, und wir wissen, dass John Wayne einer der coolsten Sheriffs überhaupt war«, unterbrach ihn Carol. »Aber morgen ist ein harter Tag und wir müssen uns noch um den Wolf kümmern.«
»Das erledigen wir schon«, sagte Erhart und blickte Julie an. Anscheinend hatte er Angst, dass sie genug von dem übel zugerichteten Wolf gesehen hatte. »Bringen Sie unser Küken nach Hause. Sie hat sich den Schlaf verdient.«
»Küken?«, begehrte Julie auf.
»So nannte John Wayne das kleine Mädchen, das ihm in ›True Grit‹ half, mit gefährlichen Verbrechern fertigzuwerden«, beruhigte Carol sie verschmitzt. »Hab ich nicht recht, Greg?«
»Ganz genau«, erwiderte der Ranger grinsend.
7
Am nächsten Tag war Julie für den Innendienst eingeteilt. Sie empfing die wenigen Besucher des Nationalparks im Murie Science and Learning Center, erklärte ihnen, dass sie im Winter nur bis zum Campground am Savage River fahren durften, und versorgte sie mit Broschüren und anderen Informationen.
Ihre Hauptaufgabe bestand jedoch darin, eine Inventur im Shop durchzuführen. Souvenirs, Bücher, DVD s und andere Waren mussten gezählt und katalogisiert werden. Die Arbeit, bei den meisten Rangern verhasst und als langweilig eingestuft, gefiel ihr. Auf diese Weise lernte sie das Angebot des Besucherzentrums besser kennen und fand auch einige Bücher und Filme, die sie sich selbst einmal kaufen oder ausleihen würde. Den Film über den Nationalpark, der für die Besucher in einem Kinosaal lief, hatte sie bereits gesehen.
Trotzdem wäre Julie lieber draußen in der Natur gewesen, besonders an einem Tag wie diesem. Die bedrohlichen Wolken waren weitergezogen und ließen den Mond und die Sterne ungewöhnlich hell und klar erscheinen, als sie frühmorgens ihren Dienst antrat, um mit der Inventur möglichst weit zu kommen, bevor sie das Besucherzentrum um neun Uhr für den Publikumsverkehr aufschloss. Als sich der östliche Horizont verfärbte, erstrahlten die schneebedeckten Berge in einem zarten Rosa, schöner noch als auf den Ansichtskarten, die jeder für mit Photoshop bearbeitet und zu kitschig hielt.
An ihrem Arbeitsplatz hinter dem Glastresen genoss sie vor allem die Stille. Sie half ihr, wieder Ordnung in ihre Gedanken zu bekommen und den Vorfall vom vergangenen Abend zu verarbeiten. Nie zuvor war sie so sinnloser und brachialer Gewalt begegnet. Jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, sah sie den blutverkrusteten Körper des toten Wolfes vor sich, einer stolzen Kreatur, die von zwei skrupellosen Männern gewaltsam aus dem Leben geholt worden war. Keine mordgierige Bestie, sondern ein wildes Tier, das wie jedes andere Lebewesen ein Recht darauf hatte, auf dieser Erde zu leben. Außerdem war der Wolf noch so jung gewesen, dass er den Killern blindlings in die Falle gegangen war. Sie erinnerte sich daran, wie er mit seinem Freund aus dem Rudel herumgetollt war und in dem Glauben gelebt hatte, das ganze Leben vor sich zu haben. Warum hatten manche Menschen keine Ehrfurcht vor der Schöpfung? Hatte ein Raubtier, ein Wolf oder Grizzly, denn kein Recht auf Leben?
Die ersten Besucher an diesem Morgen waren zwei junge Bergsteiger, die vorhatten, im Sommer den Mount McKinley zu bezwingen, und sich vor Ort informieren wollten. Julie versorgte sie mit Broschüren und Karten und rief einen der Ranger zu Hilfe, die selbst kletterten und sich an dem Berg, der auch »Denali« genannt wurde, bestens auskannten. Ein Ehepaar, das den Berg vom eigenen Wagen aus bewundern wollte, klärte sie darüber auf, dass die Park Road im Winter nur bis zum Savage River geöffnet war, sie aber großes Glück mit dem Wetter hätten und den Berg auch von dort bewundern könnten. Ein Camper, ein älterer Mann, trug sich für drei Nächte auf dem Savage River Campground ein. Er war schon mehrere Male im Nationalpark gewesen, damals noch mit seiner Ehefrau, wie er
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