Die Wölfe von Yellowstone. Die ersten zehn Jahre (German Edition)
Schwäche gezeigt.« Aufstrebende Möchtegern-Leittiere testen gelegentlich die Führungsposition der Rudeloberhäupter, und manchmal gelingt es ihnen auch, sie abzusetzen, woraufhin diese normalerweise abwandern. Bis dahin gab es keinen Fall, in dem ein Wolfsrudel seine eigene Leitwölfin getötet hatte.
Doch damit nicht genug. In den Tagen nach dem Tod von Nummer 40F geschah etwas Unglaubliches: Nummer 42F und Nummer 106F trugen ihren Nachwuchs, einen nach dem anderen, in die Höhle der getöteten Leitwölfin, und die gesamte Druid-Familie kümmerte sich um die Aufzucht der drei Würfe.
»Als die Familienmitglieder die Welpen von Nummer 40F adoptierten, zeigten sie ein beeindruckendes Mitgefühl für den Nachwuchs einer Herrscherin, die ihrer aller Leben zur Hölle gemacht hat«, sagte Smith. »Grundsätzlich ist es für ein Rudel sehr schwer, die Leitwölfin zu verlieren, aber hier hatte es anscheinend den gegenteiligen Effekt. Irgendwie scheint dieser Verlust das Rudel, das vorher nur durch Härte zusammengehalten wurde, vereint zu haben.« Wölfe haben innerhalb der eigenen Familie ein sehr starkes Harmoniebedürfnis. Den Druids muss also irgendwann der Zustand unter ihrer tyrannischen Herrscherin unerträglich geworden sein. Mit dem neuen Leitpaar lebte das Rudel viele Jahre friedlich zusammen.
Insgesamt hatten die Druids jetzt 21 Welpen und waren damit mit einem Schlag auf 29 Wölfe angewachsen. Die Biologen waren skeptisch, ob der Nachwuchs überleben würde. Aber in diesem Jahr starb nur ein Welpe, und ein Jährling wurde von einem Auto überfahren. Ende des Jahres weiteten die Druids ihr Territorium aus und besetzten einen großen Teil des Reviers des jetzt zahlenmäßig unterlegenen Rose-Creek-Rudels. Nummer 42F, die ehemals geschundene und unterdrückte Schwester von Nummer 40F, war in kurzer Zeit wie Aschenputtel zur toleranten Leitwölfin aufgestiegen.
21M blieb weiterhin Rudelchef. Im Frühjahr 2001 paarte er sich mit fast allen nicht verwandten Weibchen seiner Gruppe. Im April bekamen 42F und 103F in verschiedenen Höhlen Junge. Wieder half die gesamte Familie bei der Aufzucht beider Würfe. Im August war die Zahl der Wölfe im Druid-Peak-Rudel auf sensationelle 37 Tiere gestiegen. Dies war der zahlenmäßige Höhepunkt der Druids. Später teilten sie sich in kleinere Untergruppen auf.
Im Herbst 2003 bestanden die Druids aus 18 Wölfen (neun Erwachsenen und neun Welpen). 21M und 42F waren immer noch die Leitwölfe, inzwischen jedoch grauer und merklich langsamer. Die Harmonie in der Wolfsfamilie war deutlich spürbar. Auch wenn gelegentlich einzelne Wölfe abwanderten, wie Wolf 253M, der eine mehrwöchige Stippvisite nach Utah machte, wurden diese Tiere bei ihrer Rückkehr ins Rudel begeistert willkommen geheißen. Bei der Jagd veränderte sich mit zunehmendem Alter der Wolfseltern die Arbeitsteilung. Jetzt hetzten und trieben die jüngeren Rudelmitglieder die Beute, während 21M auf seinen Einsatz wartete. Noch immer war er ein kräftiger Wolf und ein hoch spezialisierter Killer. Hatten die Treiber die Beute müde gehetzt, schlug seine Stunde, wenn er gezielt zum Töten ansetzte. Um die Schwächen der alten Leittiere auszugleichen, hatten die Druids die Aufgabenverteilung geändert.
Wie und warum wurden die Druids so groß?
Dieser Frage sind Doug Smith und Rick McIntyre nachgegangen. Sie sind zu dem Ergebnis gekommen, dass verschiedene Faktoren für das Leben von Wölfen in sozialen Gruppen eine Rolle spielen, die für die Größe einer solchen Gruppe verantwortlich sind.
Die Grundstruktur eines Wolfsrudels besteht aus einem Elternpaar, den Leitwölfen und ihrem Nachwuchs. Die durchschnittliche Rudelgröße in Nordamerika ist (bei einem Wurf von fünf bis sechs Welpen) fünf bis zehn Wölfe. Ein entscheidender Faktor für die Größe einer Wolfsfamilie ist die Welpensterblichkeit. Im Gegensatz zu vielen anderen Gebieten dieser Welt leben die Wölfe von Yellowstone in einem geschützten Lebensraum, wo sie nicht gejagt werden. Daraus folgt, dass fast alle Rudel in Yellowstone aus mehreren (meist drei) Generationen bestehen. Und so beträgt die durchschnittliche Rudelgröße im Nationalpark 14,6 Wölfe pro Rudel. Außerhalb der Parkgrenzen, wo die Tiere »kontrolliert« werden, sinkt diese Zahl deutlich ab auf 5,8 Wölfe pro Rudel.
Zusätzlich zur Welpensterblichkeit bestimmt auch die Größe der Beutetiere die Rudelgröße. Wir wissen, dass ein Wolf allein schon einen Bison oder Elch
Weitere Kostenlose Bücher