Die Wölfe von Yellowstone. Die ersten zehn Jahre (German Edition)
Gebiete außerhalb des Parks, wo sie nicht mehr geschützt sind.
Die Veränderungen, die innerhalb von zehn Jahren nach der Wiederansiedlung der Wölfe im Yellowstone-Nationalpark im Ökosystem geschehen sind, haben die Erwartungen der Wissenschaftler bei Weitem übertroffen. Dave Mech hatte recht, als er 1986 sagte: »Yellowstone ist ein Ort, der im wahrsten Sinne des Wortes darum bettelt, Wölfe zu haben. Es wimmelt nur so von Beute. Einst gab es hier Wölfe. Und alle die Tiere, die hier früher lebten, sollten wieder zurückkehren.« Nach so unglaublich kurzer Zeit ist es deutlicher als je zuvor, dass Yellowstone der perfekte Ort für Wölfe ist. Die Wildnis von Yellowstone kann ohne sie nicht wirklich wild sein.
Berühmte Wölfe
4. Januar 2003
Heute ist mein letzter Tag in Yellowstone. Die strahlende Sonne macht mir den Abschied noch schwerer. Obwohl Wochenende ist, sind wenig Besucher unterwegs. Ich beschließe, den Tag noch auszukosten und so spät wie möglich nach Bozeman zu fahren, wo ich übernachten und am nächsten Morgen nach Deutschland zurückfliegen werde.
Langsam trödele ich mit meinem Auto durch das Lamar Valley, halte in jeder Parkbucht und suche das Tal mit dem Fernglas ab. Ich habe keine Eile und kann den Tag genießen, unabhängig davon, ob ich Wölfe sehe oder nicht.
Aber wie so oft lässt die »Action« nicht lange auf sich warten. Minus 24 Grad Celsius, dazu strahlender Sonnenschein, das ist das Drehbuch, bei dem die Stars des Lamar Valley ihren Auftritt haben. In der Nähe des Soda Buttes sehe ich einige dunkle Punkte, die sich bewegen. Die Druids sind unterwegs. Sie scheinen satt und ausgeschlafen zu sein und sprühen voller Lebensfreude. Ausgelassen tollen sie an den Berghängen der Nordseite des Tals herum. Nur hundert Meter entfernt führen sie mir und den wenigen Besuchern, die sich eingefunden haben, ein Schauspiel vor: »Das lustige Familienleben der Druids.« Wir Wolfsbeobachter genießen entspannt und lächelnd diesen Moment. Sonntag im Lamar Valley!
Plötzlich und unerwartet ändert sich die Szenerie. Ein einzelner Wolf taucht im Tal auf und marschiert zielstrebig in Richtung unserer Wölfe. Die Druids sind mit sieben Wölfen komplett. Also kann es sich bei dem Abenteurer nur um einen fremden Wolf handeln. Wir hoffen, dass er bald abdreht, denn er befindet sich auf gefährlichem Terrain.
Inzwischen haben ihn auch die Druids entdeckt. Sie liegen angespannt und mit gespitzten Ohren dicht beieinander und richten ihre Aufmerksamkeit voll auf den dreisten Neuling. Das Leitpaar, Nummer 21M und Nummer 42F, hat eine leicht erhöhte Position eingenommen und ist wie versteinert.
Der Fremdling marschiert weiterhin unbekümmert im Feindesland. Ich bin mir nicht sicher, ob er die Druids noch nicht entdeckt hat oder ob er sich absichtlich unverfroren verhält.
Als der Eindringling näher kommt, kann ich sehen, wie attraktiv und stattlich er ist mit glänzendem, pechschwarzem Fell und goldfarbenen Augen. Sein Anblick muss jeder halbwegs vernünftigen Wölfin schwache Knie machen.
Und tatsächlich – im angespannt zuschauenden Rudel der Druids kann ich eine leichte Bewegung feststellen: Eine einzige Schwanzspitze fängt an zu zucken und ganz vorsichtig leise zu wedeln. Anscheinend ist nicht nur mir die Schönheit des Wolfes aufgefallen.
Der edle Ritter in schimmernder Rüstung ist inzwischen langsamer geworden, sein Gang ist steifer und bedachtsamer. Sein Mut scheint der Vernunft zu weichen. Dennoch pirscht er sich weiter vor und ist fast am Fuße des Berges angekommen, auf dem die Druids jetzt aufgestanden sind. Nummer 21M, der alte graue Patriarch, steht wie eine Statue auf dem Bergkamm. Die Dreistigkeit des Eindringlings wird einigen jüngeren Familienmitgliedern zu viel und sie jagen mit aufgestelltem Kamm den Berg hinunter auf den schwarzen Beau zu. Dieser gibt Fersengeld, wenn auch nur halbherzig und nur kurze Zeit. Dies reicht den verfolgenden Wölfen und sie ziehen sich wieder auf den Berg zurück.
Der Fremde hat noch lange nicht aufgegeben. Erneut pirscht er sich an das Rudel heran – diesmal aber mit einem gezielteren Blick, und zwar genau in Richtung der wedelnden Schwanzspitze, die ihre Bewegung inzwischen mutig auf den Rest des Schwanzes ausgedehnt hat. Jetzt erkennen wir sein Ziel der Begierde und sehen förmlich Amors Pfeile durch die Lüfte schwirren. Die Kälte ist längst vergessen, die Teleskope aufgebaut, und wir kleben mit angehaltenem Atem an dem uralten
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