Die Wölfe von Yellowstone. Die ersten zehn Jahre (German Edition)
sofort durch das Loch in die schützende Nähe ihrer Mutter, der Rest drängte sich außen eng an den Zaun. Die Biologen zogen sich wieder zurück, in der Hoffnung, dass die restlichen Wölfe ihren Weg durch den Zaun finden würden.
Am folgenden Morgen waren nur noch zwei Wölfe bei ihrer Mutter im Gehege. Nun hatten die Biologen die Nase voll. Sie wollten den restlichen Familienmitgliedern keine weitere Chance mehr zur Flucht geben. Sie flickten das Loch und stellten Spezialfallen in der Nähe auf.
Am nächsten Tag befanden sich zur Überraschung aller wieder drei Jungwölfe innerhalb des Geheges. Wenn der eine Wolf nicht gelernt hatte, sich zu beamen, dann war er wohl den sehr steilen, angewinkelten Baum, der auf den Zaun gefallen war, hochgeklettert, hatte sich durch das Gewühl von Zweigen und zerbrochenen Ästen gekämpft und am Ende ins Gehege fallen lassen. Die Biologen berieten sich und beschlossen, den Baum als »Einbahnstraße« für heimkehrende Wölfe stehen zu lassen. Sein Ende stand zu weit hoch, als dass ein Wolf von innen hinauf springen und entkommen konnte.
Nach einer Woche mehr oder weniger geduldigen Wartens wurde schließlich ein kleiner Wolf in den Fallen gefangen und zurück zu seiner Familie gebracht. Vier Jungwölfe waren jetzt im Gehege, vier draußen. Einen Tag später jedoch waren nur noch drei Wölfchen da. Was ging hier vor?
Ein weiterer Wolf wurde eingefangen und zurück gebracht. Wieder stand es vier zu vier. Dann fehlte erneut ein Tier. Jetzt begannen die Biologen langsam zu ahnen, dass die unbeholfenen Jungwölfe es tatsächlich geschafft hatten, irgendwie auf den überhängenden Baum zu springen und von dort aus zu entkommen. Die vermeintliche »Einbahnstraße« war also eigentlich eine Schnellstraße in die Freiheit. Die Kettensäge beendete schließlich den »kleinen Grenzverkehr«.
Zwei weitere Welpen wurden in Fallen gefangen. Jetzt waren wieder fünf drinnen und drei draußen. Die Biologen gaben schließlich auf und beließen es dabei. Anscheinend hatten die drei Jungwölfe überhaupt nicht die Absicht, ihre Familie zu verlassen. Tagsüber waren sie unterwegs, jeden Abend aber kamen sie zurück und schliefen eng an den Zaun gedrückt in der Nähe ihrer Mutter und Geschwister. Der elektrische Zaun wurde zur Sicherheit der Wölfe abgeschaltet und Kadaver sowohl innerhalb als auch außerhalb des Geheges abgelegt. Die Biologen hofften inständig, dass kein neugieriger Bison eine Abkürzung durch das Gehege suchen und kein Grizzly durch den Geruch der Kadaver angelockt werden würde.
Langsam bekam auch die Liebe in Natashas Leben wieder eine Chance. Den ganzen Sommer über hatten die Biologen, wann immer sie den Wölfen Futter brachten, auch für die Jungwölfe außerhalb des Zauns Fleisch liegen gelassen. Alles ging gut, bis Mitte September ein junger Grizzly auftauchte und allen klarmachte, dass er sich nun an dem kostenlosen Mahl beteiligen würde. Dies sah nach einem Problem aus, als plötzlich das Unerwartete geschah und ein neuer Wolf – Nummer Acht – auftauchte, ein junger Rüde vom Crystal-Creek-Rudel (heute: Mollies Rudel). Dieser Wolf hatte seine Familie verlassen und tauchte von nun an regelmäßig am Rose-Creek-Gehege auf, wo er begann, Futter für die zwei Jungwölfe hervorzuwürgen. Dass ein Wolf, der zu einem anderen Rudel in keinerlei Beziehung steht, dessen Welpen nicht nur toleriert, sondern auch noch füttert, war bisher unbekannt. (In den nächsten Jahren sollten die Wölfe die Biologen noch des Öfteren mit bisher nicht bekannten Verhaltensweisen überraschen.) Nummer Acht blieb noch mehrere Wochen in der Nähe und spielte »Ersatz-Papa« für die beiden stürmischen Teenager-Wölfe, während er geduldig auf deren Mutter wartete.
Zwar war er mit seinen siebzehn Monaten noch nicht ganz erwachsen. Dennoch schien er Gefallen an Natasha gefunden zu haben. Wenn dies auf Gegenseitigkeit beruhte, dann konnte er vielleicht im kommenden Winter gemeinsam mit ihr wieder für Nachwuchs sorgen – so die Hoffnung der Biologen.
Im Herbst ist Jagdsaison außerhalb vom Yellowstone-Park. Zu ihrem eigenen Schutz wurden daher Natasha und ihre Welpen erst nach dem Ende der Jagdzeit aus der Gefangenschaft entlassen. Und da wartete schon wieder eine Überraschung auf die Biologen: Es waren nicht mehr fünf, sondern wieder sechs Jungwölfe im Gehege. Einer von den Teenies hatte anscheinend den mehr als drei Meter hohen Zaun überklettert, um seine Familie zu besuchen.
Als
Weitere Kostenlose Bücher