Die Wölfe von Yellowstone. Die ersten zehn Jahre (German Edition)
Natasha und ihre Familie am 11. Oktober 1995 in die Freiheit zurückkehrten, wartete Nummer Acht geduldig hinter dem Zaun. Die Wölfin akzeptierte den Wolf sofort als ihren neuen Gefährten. Sie, Nummer Acht und die Welpen wurden zum neuen Rose-Creek-Rudel. Sie ließen sich im Lamar Valley nieder, nördlich des Flusses. Natasha hatte wieder eine Familie.
Nicht lange nach ihrer Freilassung filmte Bob Landis für National Geographic eine sensationelle Szene im sich fortsetzenden Drama um Natasha, die immer berühmter wurde:
Während sie im Lamar Valley unterwegs waren, trafen Natasha, ihr Gefährte und die acht Welpen auf die Crystal-Creek-Gruppe, das Heimatrudel von Nummer Acht. Die beiden Crystal-Creek-Leitwölfe rannten in die entgegengesetzte Richtung, um ihr Desinteresse für das abtrünnige Familienmitglied und seinen Anhang zu demonstrieren. Nummer Acht dagegen war entzückt, seine Geschwister zu sehen, und auch die Kleinen schienen nichts dagegen zu haben, dass nun mit drei weiteren Onkeln und Tanten noch mehr Futter-Zulieferer auf der Bildfläche erschienen. Als ihm jedoch eines seiner Geschwister zu freundlich oder auch zu aufdringlich wurde, zeigte ihm Nummer Acht zähnefletschend, zu welcher Familie er nunmehr gehörte. Natasha war sofort an der Seite ihres Gefährten, und gemeinsam prügelten sie den verwirrten Wolf in die Flucht. Natashas Familie erweiterte in diesem Sommer ihr Revier über das gesamte nördliche Lamar Valley.
Aber wie in jeder guten Seifenoper war damit das tragische Schicksal unserer Heldin noch lange nicht vorüber.
Am 20. Dezember 1995 musste sie einen neuen Verlust ertragen. Einer ihrer Welpen, Nummer 22, ein strammer, schwarzer Rüde, wurde von einem Lieferwagen im Park getötet. Der Welpe rannte in die Seite des Fahrzeuges und wurde von den hinteren Rädern überfahren.
Natasha war inzwischen die Wölfin, die die meisten Touristen sehen wollten. Ihr Rose-Creek-Rudel hatte 1996, 1997 und 1998 Welpen.
Unglücklicherweise – vermutlich auch gerade wegen dieser Berühmtheit – überlebte keiner ihrer Welpen aus dem Wurf von 1997. In diesem Jahr paarten sich Natasha und zwei ihrer Töchter mit dem Leitwolf. Ihre Tochter, Nummer 18, belegte die alte Wurfhöhle von Natasha, die dadurch gezwungen war, sich eine neue Höhle in der Nähe des Lamar-Flusses zu suchen, und damit leider auch in der Nähe der Parkstraße.
Als die Touristensaison über den Yellowstone-Park hereinbrach, versammelten sich die Menschenmassen von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang vor Natashas Höhle. Das Rudel, das auch die Wölfin mitversorgte, veränderte daraufhin sein Aktivitätenmuster und war fast nur noch nachts aktiv. Ende Mai 1997 verbrachten die meisten der erwachsenen Wölfe des Rose-Creek-Rudels ihre Zeit bei der Höhle von Nummer 18 und ließen Natasha und ihre Welpen allein; es waren einfach zu viele Menschen dort. Die Wölfin versuchte mehrmals, mit ihrem Anhang die Straße zu überqueren. Aber die Welpen hatten zu große Angst, denn wann immer sich einer von ihnen der Straße näherte, kam es zum Menschenauflauf und »Wolfsstau«. Natasha besuchte täglich ihr Rudel bei der Höhle von Nummer 18. Während dieser Ausflüge versteckte sie die Welpen am Rande des Flusses im hohen Gras. Die Kleinen waren noch zu jung, um die starke Strömung zu durchqueren. Wölfe haben sehr starke soziale Bindungen. Das Bedürfnis, ihre Familie zu sehen, war für Natasha wichtiger, als bei ihren Welpen zu bleiben. Und so schwamm sie jeden Tag über den Fluss und sammelte nervös ihre Jungen wieder ein. Gelegentlich kamen auch andere Rudelmitglieder mit. Nach jedem mehrstündigen Besuch lief Natasha das steile Ufer hinunter an den Fluss. Die Welpen folgten ihr, drehten dann aber wieder um, sobald sie das rauschende Wasser sahen. In der Nähe des Welpenverstecks wurde ein Hirschkadaver gefunden, vermutlich von den Wölfen dorthin gebracht, um sie für kurze Zeit mit Futter zu versorgen.
Wegen der vielen anderen Beutegreifer wie Kojoten, Bären und Berglöwen waren die ungeschützten Wolfsbabys ständig in Gefahr. Nach mehreren Wochen waren sie verschwunden. Bei der anschließenden Suche nach Spuren fanden die Biologen den Kadaver eines Welpen am Flussufer; die Todesursache blieb ungewiss. Das ebenfalls im Wolfsterritorium lebende Kojoten-Rudel wurde einmal dabei beobachtet, wie es einen der Welpen jagte und angriff. Es könnte also sein, dass sie den Welpen getötet haben oder dass das Tier einfach verhungert ist.
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