Die Wölfe von Yellowstone. Die ersten zehn Jahre (German Edition)
Telemetriegeräte nur von Nutzen, wenn der ungefähre Aufenthaltsort der Wölfe bekannt ist und ihre Position durch Dreieckspeilung ermittelt werden kann. Aus der Luft kann man zwar Signale empfangen, aber nur wenn die Sicht gut ist. Beim Nez-Perce-Rudel, das sich vermutlich weit abseits seines normalen Reviers aufhielt, nutzten die Halsbänder nichts. Da blieb den Biologen nur noch zu hoffen, dass jemand die Wölfe sah und sie informierte.
Es ist nicht ungewöhnlich für ein Wolfsrudel, aus seinem Territorium abzuwandern. Aber meist kehren sie wieder nach Hause zurück.
Die Nez-Perce-Wölfe waren jedoch schon immer Abenteurer. So verschwanden sie im Herbst 2001 gänzlich aus Yellowstone und tauchten im östlichen Idaho in der Nähe von Ashton wieder auf. Die Wölfe hatten einen Hund getötet und ein paar Tage lang für Aufregung gesorgt. Dann wanderten sie zurück in den Nationalpark.
Es gibt verschiedene Gründe, warum das Rudel im Winter 2002 aus Yellowstone verschwunden sein könnte, beispielsweise weil in ihrem Revier die Hirsch- und Bisonpopulation zurückging. Das milde Wetter und der relativ geringe Schnee könnten es den Wölfen sehr viel schwerer gemacht haben, Nahrung zu finden. Vielleicht suchten sie woanders nach Futter.
Sie hätten auch auf Kontrollgang sein können, um ihre Reviergrenzen zu überprüfen. Wölfe wissen gerne, wer ihre Nachbarn sind und wo sie sich aufhalten. Es hätte also sein können, dass sie einfach nur herumzogen, um zu sehen, wo ihre Konkurrenten waren und wo es möglicherweise neue Territorien gab.
Wölfe können Hunderte Kilometer durch sehr raues Gebiet wandern. Mit Ausnahme von einzelnen vollständig abwandernden Tieren kehren sie meist nach wenigen Wochen wieder zurück.
Auch wenn man annimmt, dass der Yellowstone-Park mit seinen 9000 Quadratkilometern Fläche ausreichend Platz für alle Beutegreifer bieten sollte, so war inzwischen doch fast jede brauchbare Ecke von Wölfen besetzt. Wenn die Wissenschaftler herausfanden, wohin das Rudel verschwunden war, konnten sie so vielleicht auch zukünftige Wolfsreviere entdecken.
Nach drei Wochen Warten und Suchen gab es immer noch keine Spur von den Nez-Perce-Wölfen. Die Biologen mussten einigen Spott über sich ergehen lassen, denn wer verliert schon so mir nichts dir nichts 20 Wölfe?
Die Forscher spekulierten unterdessen, dass die Wölfe wegen des milden Winters abgewandert waren. Bei harter Witterung und viel Schnee werden die Beutetiere schwächer. Das Revier des Nez-Perce-Rudels lag in einem Gebiet, in dem es wenig Beutetiere gab. Durch den milden Winter breiteten sich die Hirsche weiter aus und verringerten dadurch die Effizienz der Jagd. Wölfe können nicht jedes Tier töten, das sie wollen. Es gab zwar auch eine Anzahl Elche im Territorium der Nez Perce, diese hatten jedoch bisher verschiedenen Wolfsangriffen widerstanden.
Die Bisons, die hier in großer Zahl lebten, waren für die Wölfe eine schwierigere Beute, wenngleich schon die Nez Perce und auch Mollies Rudel einige Bisons getötet hatten; dies jedoch meist erst gegen Ende eines Winters, wenn die Bisons sehr viel schwächer waren.
Das Nez-Perce-Rudel war zuletzt Anfang Dezember im nördlichen Yellowstone zwischen Tower Junction und Blacktail Deer Plateau gesehen worden – alle 20 Tiere. Dies war jedoch auch das Revier von drei anderen Wolfsrudeln und damit bereits vergeben. Man konnte also davon ausgehen, dass die Wölfe in diesem Winter für ihr Futter härter arbeiten mussten als sonst. Das hätte sie auf die Idee bringen können, abzuwandern.
Aber all dies waren bisher nur Spekulationen.
Dann endlich, am 28. Januar 2003, kam die erlösende Meldung: Die Wölfe waren gefunden worden, und zwar im National Elk Refuge in Jackson, im Grand-Teton-Nationalpark.
Eigentlich hätten die Biologen es sich ja gleich denken können.
Jährlich wandern mehrere Tausend Hirsche ins National Elk Refuge, weil sie dort – einer alten Tradition folgend und als Touristenattraktion – gefüttert werden. Zum ersten Mal hatten die Wölfe 1999 dieses Schlaraffenland entdeckt. Irgendwie mussten auch die Nez Perce davon gehört und sich auf den Weg gemacht haben. Denn genau in der Mitte dieses Refugiums entdeckte sie ein Flugzeug. Wegen des milden Winters hatten die Ranger noch nicht mit dem Füttern der Hirsche begonnen, die Wölfe lebten also ungestört in der Mitte einer riesigen Hirschherde. Kann man ihnen da verübeln, dass sie ausgerissen sind?
Zwei Monate später am
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