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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Nationalsozialismus prostituiere sich; diese Erfahrung hatte ihn vermutlich bewogen, in den Sicherheitsdienst einzutreten. Er hatte eine hohe Meinung von seiner Arbeit und verstand sie als wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung des Nationalsozialismus. Als er mir nach dem Vortrag vorgeschlagen hatte, als V-Mann für ihn zu arbeiten, war mir, nachdem er mir das Aufgabenfeld beschrieben hatte, törichterweise die Bemerkung herausgerutscht: »Aber das sind ja Spitzeldienste!« Trocken hatteOhlendorf erwidert: »Nein, Herr Aue, das hat nichts mit Schnüffelei zu tun. Wir erwarten von Ihnen nicht, dass Sie petzen ; uns ist es völlig schnuppe, ob Ihre Putzfrau einen parteifeindlichen Witz erzählt. Aber der Witz selbst interessiert uns, weil er Aufschluss über die Stimmung im Volk gibt. Die Gestapo ist durchaus in der Lage, mit Staatsfeinden fertig zu werden, doch das fällt nicht in die Zuständigkeit des Sicherheitsdienstes , dessen Aufgabe vor allem die Nachrichtenbeschaffung ist.« Nach meiner Ankunft in Berlin ist meine Beziehung zu ihm nach und nach enger geworden, vor allem dank der Vermittlung von Professor Höhn, mit dem Ohlendorf auch dann noch in Verbindung geblieben war, als jener den SD bereits verlassen hatte. Wir trafen uns von Zeit zu Zeit zum Kaffeetrinken, oder er lud mich sogar zu sich nach Hause ein, um mir auseinanderzusetzen, welche schädlichen Tendenzen die Partei neuerdings entwickle und was zu tun sei, um sie zu korrigieren oder zu bekämpfen. Damals arbeitete er nicht mehr ausschließlich für den SD, weil er außerdem Forschungsaufträge an der Universität Kiel wahrnahm und später ein wichtiges Amt in der Reichsgruppe Handel bekleidete. Als ich schließlich beim SD eintrat, übernahm er, wie Dr. Best, ein bisschen die Rolle meines Mentors. Doch sein ständig eskalierender Konflikt mit Heydrich und seine schwierige Beziehung zum Reichsführer hatten seine Position geschwächt, was ihn allerdings nicht daran hinderte, beim Aufbau des RSHA Leiter des Amts III – Chef des Sicherheitsdienstes – zu werden. In Pretzsch machten zahlreiche Gerüchte über die Gründe seiner Versetzung nach Russland die Runde; es hieß, er habe den Posten mehrfach abgelehnt, bis Heydrich ihn, vom Reichsführer unterstützt, dazu zwang, ihn anzutreten, um ihn mit der Nase in den Dreck zu stecken .
    Am nächsten Morgen fuhr ich mit einem militärischen Pendelbus nach Simferopol. Ohlendorf empfing mich mitseiner üblichen Höflichkeit, ohne Herzlichkeit vielleicht, aber freundlich und nett. »Ich habe gestern zu fragen vergessen, wie es Ihrer Frau Gemahlin geht.« – »Meiner Frau Käthe? Sehr gut, danke. Natürlich vermisst sie mich, aber Krieg ist Krieg.« Eine Ordonnanz servierte uns einen ausgezeichneten Kaffee, und Ohlendorf kam rasch zur Sache. »Sie werden sehen, Ihre Arbeit ist sehr interessant. Sie brauchen sich nicht um die Ausführung zu kümmern, die überlasse ich ganz den Kommandos; die Krim ist sowieso schon praktisch judenfrei, und mit den Zigeunern sind wir auch schon fast fertig.« – »Mit allen Zigeunern?«, unterbrach ich ihn erstaunt. »In der Ukraine gehen wir nicht so systematisch vor.« – »Für mich sind sie genauso gefährlich«, erwiderte er, »wenn nicht gefährlicher als die Juden. In allen Kriegen dienen die Zigeuner als Spione oder als Agenten, die über die Fronten hinweg Verbindungen unterhalten. Sie brauchen nur Ricarda Huch oder Schiller über den Dreißigjährigen Krieg zu lesen.« Er machte eine Pause. »Zunächst befassen Sie sich nur mit reinen Ermittlungen. Im Frühjahr werden wir in den Kaukasus vorrücken – darüber bewahren Sie bitte Stillschweigen –, und da das eine noch wenig bekannte Region ist, möchte ich eine zentrale Auskunftsstelle für den Gruppenstab und die Kommandos einrichten, besonders in Hinblick auf die verschiedenen ethnischen Minderheiten und deren Beziehungen untereinander und zur Sowjetmacht. Im Prinzip soll das gleiche Besatzungssystem wie in der Ukraine Anwendung finden, wir werden ein neues Reichskommissariat bilden, aber natürlich haben auch die Sipo und der SD ein Wort mitzureden, und je besser dieses Wort begründet ist, desto mehr wird man darauf hören. Ihr unmittelbarer Vorgesetzter wird Sturmbannführer Dr. Seibert sein, der auch Chef des Gruppenstabes ist. Kommen Sie, ich stelle Sie ihm vor, und auch Hauptsturmführer Ulrich, der sich um Ihre Überstellung kümmern wird.«
    Ich kannte Seibert flüchtig; in Berlin leitete er die

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