Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
Vom Netzwerk:
bestimmte Dialekte streitet, vor allem das Dagestanische, aber so um die fünfzig sind es bestimmt. Unter dem Gesichtspunkt der Sprachgruppen oder -familien haben wir zunächst die indoiranischen Sprachen: das Armenische natürlich, eine wunderbare Sprache, das Ossetische, das mich besonders interessiert, und das Tatische. Das Russische zähle ich selbstverständlich nicht dazu. Dann gibt es die Turksprachen, die sich rund um das Gebirge verteilen: Karatschaisch, Balkarisch, Nogaisch und Kumykisch im Norden, dann das Aserische und den meschetischen Dialekt im Süden. Aserisch ist der Sprache, die in der Türkei gesprochen wird, am ähnlichsten, nur dass sie die alten persischen Elemente bewahrt hat, von denen Kemal Atatürk das so genannte moderne Türkisch befreit hat. Alle diese Völker sind Reste jener türkischmongolischen Horden, die die Region im 13. Jahrhundert überrannt haben, oder Überbleibsel älterer Wanderbewegungen.Die nogaischen Khane haben übrigens sehr lange über die Krim geherrscht. Haben Sie ihren Palast in Bachtschissarai gesehen?« – »Leider nicht. Das ist Kampfgebiet.« – »Stimmt. Ich hatte eine Genehmigung. Auch die Höhlenstadt ist außergewöhnlich.« Er trank einen Schluck Tee. »Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja. Dann haben wir da noch die bei weitem interessanteste Familie, nämlich die kaukasischen oder ibero-kaukasischen Sprachen. Lassen Sie mich gleich klarstellen: Das Kartwelische oder Georgische hat überhaupt keine Beziehung zum Baskischen. Das ist eine Idee, die Humboldt aufgebracht hat, Friede seiner großen Seele, und die seither immer wieder aufgegriffen wurde, aber zu Unrecht. Das Wortteil Ibero bezeichnet einfach eine südkaukasische Sprachgruppe. Im Übrigen steht noch nicht einmal fest, ob diese Sprachen untereinander irgendeine Beziehung aufweisen. Man nimmt es an – das ist das Grundpostulat der sowjetischen Sprachwissenschaftler –, aber genetisch lässt sich das nicht beweisen. Bestenfalls lassen sich Unterfamilien definieren, die tatsächlich eine genetische Einheit darstellen. Hinsichtlich des Südkaukasischen, das heißt des Kartwelischen, Swanischen, Mingrelischen und Lasischen, herrscht praktisch Gewissheit. Ebenso für das Kaukasische im Nordwesten: Trotz der« – er stieß ein eigenartig zischendes Pfeifen aus – »etwas verwirrenden abchasischen Dialekte handelt es sich zusammen mit dem Abchasischen, Adygeischen und Karbadisch-Tscherkessischen sowie dem Ubychischen, das fast ausgestorben ist und das man nur noch bei einigen Sprechern in Anatolien findet, um eine einzige Sprache mit ausgeprägten Dialektvarianten. Gleiches gilt für das Wainachische, das verschiedene Formen aufweist, von denen die wichtigsten das Tschetschenische und Inguschische sind. In Dagestan dagegen ist die Lage noch sehr unübersichtlich. Man hat einige Komplexe abgegrenzt, etwa das Awarische sowie die andische Sprache, das Didoische oder Tsesische,das Lakische und Lesginische, doch einige Forscher meinen, das Wainachische sei mit ihnen verwandt, andere nicht; und auch über die Untergruppen streitet man trefflich. Beispielsweise über die Beziehung zwischen dem Kubatschinischen und Darginischen; oder auch über die genetischen Verwandtschaftsverhältnisse des Chinalugischen, das einige Sprachwissenschaftler lieber als isolierte Sprache ansehen würden, ebenso wie das Artschinische.« Ich verstand nicht viel, hörte ihm aber staunend zu, wie er sein Wissen ausbreitete. Auch sein Tee war sehr gut. Schließlich fragte ich: »Entschuldigen Sie, aber können Sie alle diese Sprachen?« Er lachte schallend: »Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen! Bei meinem Alter? Und dann, wenn man nicht im Lande ist, hat es keinen Zweck. Nein, ich verfüge über passable theoretische Kenntnisse des Kartwelischen und habe mich mit einzelnen Elementen der anderen Sprachen befasst, vor allem der kaukasischen Familie des Nordwestens.« – »Und wie viele Sprachen können Sie insgesamt?« Er lachte wieder. »Eine Sprache zu sprechen ist nicht das Gleiche, wie sie lesen und schreiben zu können; und eine genaue Kenntnis ihrer Phonologie oder Morphologie ist wieder etwas anderes. Um noch einmal auf die kaukasischen Sprachen des Nordwestens oder die adygeischen Sprachen zurückzukommen, ich habe über die Konsonantensysteme gearbeitet – weit weniger über die Vokale –, und ich habe eine allgemeine Vorstellung von der Grammatik. Aber ich wäre nicht in der Lage, mich mit einem Muttersprachler zu

Weitere Kostenlose Bücher