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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Müllers Adjutant, ein verbitterter Volksdeutscher, der die Ukraine erst mit vierundzwanzig Jahren verlassen hatte, »werden unsere Truppen bald in Grosny sein. Baku ist danach nur noch eine Frage der Zeit. Die meisten von uns werden Weihnachten zu Hause feiern können.« – »Die Panzer des Generals Schweppenburg kommen nicht von der Stelle«, warf ich höflich ein. »Sie haben Mühe, einen Brückenkopf zu bilden. Der sowjetische Widerstand in Tschetscheno-Inguschien ist viel hartnäckiger als erwartet.« – »Ach was!«, widersprach Pfeiffer, ein dicker rotgesichtiger Untersturmführer, sichtlich erbost. »Das ist ihr letztes Aufbäumen. Ihre Divisionen sind ausgeblutet. Sie haben eine dünne Streitmacht vor uns aufgezogen, um uns ins Bockshorn zu jagen, aber beim ersten ernsthaften Stoß brechen sie zusammen oder laufen wie die Hasen.« – »Woher wissen Sie das?«, fragte ich neugierig. »Das sagen sie beim AOK«, antwortete Wiens für ihn. »Seit Beginn des Sommers werden in den Kesseln, zum Beispiel bei Millerowo, kaum noch Gefangene gemacht. Daraus schließen sie, dass die Reserven der Bolschewiken erschöpft sind, wie es das Oberkommando vorausgesagt hat.« –»Wir haben diese Auffassung im Gruppenstab und mit der Heeresgruppe auch ausführlich erörtert«, sagte ich. »Ihre Meinung wird nicht von allen geteilt. Einige meinen, die Sowjets hätten aus den fürchterlichen Verlusten des letzten Jahres gelernt und ihre Strategie geändert: Sie ziehen sich geordnet vor uns zurück, um eine Gegenoffensive einzuleiten, wenn unsere Nachschublinien überdehnt und verwundbar sind.« – »Ich finde Ihre Einstellung ziemlich pessimistisch, Hauptsturmführer Aue«, knurrte Müller, der Chef des Kommandos, den Mund voller Hühnchen. »Ich bin nicht pessimistisch, Sturmbannführer«, erwiderte ich. »Ich stelle nur fest, dass es unterschiedliche Meinungen gibt, das ist alles.« – »Glauben Sie, dass unsere Linien überdehnt sind?«, fragte Bolte neugierig. »Das hängt davon ab, was wir tatsächlich vor uns haben. Die Front der Heeresgruppe B folgt dem gesamten Lauf des Dons, wo es immer noch sowjetische Brückenköpfe gibt, die wir nicht haben beseitigen können, angefangen bei Woronesh, das die Russen trotz all unserer Anstrengungen halten, bis Stalingrad.« – »Stalingrad gibt es nicht mehr lange«, verkündete Wiens dröhnend, nachdem er seinen Bierseidel geleert hatte. »Unsere Luftwaffe hat die Verteidiger letzten Monat ausradiert, die 6. Armee braucht nur noch aufzuräumen.« – »Vielleicht. Aber gerade weil alle unsere Kräfte vor Stalingrad konzentriert sind, werden die Flanken der Heeresgruppe B am Don und in der Steppe nur von unseren Verbündeten gehalten. Sie wissen so gut wie ich, dass die Qualität der rumänischen oder italienischen Truppen nicht an die der deutschen Streitkräfte heranreicht; und die Ungarn mögen zwar gute Soldaten sein, aber ihnen fehlt es an allem. Hier im Kaukasus ist es genauso, wir haben nicht genügend Männer, um auf dem Gebirgskamm eine geschlossene Front zu bilden. Und zwischen den beiden Heeresgruppen verliert sich die Front in der Kalmückensteppe; dort schicken wir nur Patrouillen hin und sind niegegen böse Überraschungen gefeit.« – »In diesem Punkt«, warf Dr. Strohschneider ein, ein ungeheuer langer Mensch, dessen wulstige Lippen unter einem struppigen Schnurrbart hervortraten und der ein in Budjonnowsk stationiertes Teilkommando befehligte, »hat Hauptsturmführer Aue nicht ganz Unrecht. Die Steppe steht weit offen. Ein entschlossener Angriff könnte unsere Stellung empfindlich schwächen.« – »Ach was«, meinte Wiens und nahm ein neues Bier, »das sind doch alles nur Mückenstiche. Und wenn sie was gegen unsere Verbündeten unternehmen, werden die deutschen ›Korsettstangen‹ mehr als ausreichen, um die Situation in den Griff zu bekommen.« – »Ich hoffe, Sie haben Recht«, sagte ich. »Auf jeden Fall«, schloss Dr. Müller salbungsvoll, »wird der Führer diesen reaktionären Generalen schon die richtigen Entscheidungen vorschreiben.« So konnte man die Dinge natürlich sehen. Doch schon drehte sich das Gespräch um die Aktion des Tages. Ich hörte schweigend zu. Wie immer folgten die unvermeidlichen Anekdoten über das Verhalten der Verurteilten, die beteten, weinten, die Internationale sangen oder schwiegen, und die Bemerkungen über organisatorische Probleme und die Reaktionen unserer Männer. Voller Überdruss ließ ich all das über mich

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