Die Wohlgesinnten
dein Leben mit Büchern verbracht hast. Bei uns können sogar die Rabbiner Häuser bauen. Aber du bist ein guter Junge. Ich habe recht daran getan, mich an dich zu wenden.« Ich grub, die Erde musste jetzt ziemlich hoch geworfen werden, und ein Gutteil fiel wieder ins Loch zurück. »Reicht das?«, fragte ich schließlich. »Noch etwas. Ich möchte ein Grab, das so bequem ist wie der Bauch meiner Mutter.« – »Hanning!«, rief ich. »Kommen Sie mich ablösen.« Der Rand des Grabes reichte mir jetzt schon bis zur Brust, und er musste mir beim Hinausklettern helfen. Ich zog mich wieder an und rauchte, während Hanning sich ans Graben machte. Abermals betrachtete ich die Berge, ich wurde dessen nicht müde. Auch der Alte schaute. »Weißt du, ich war enttäuscht, dass ich nicht in meinem Tal am Samur begraben liegen sollte«, sagte er. »Aber jetzt verstehe ich, dass der Engel weise ist. Das hier ist ein schöner Ort.« – »Ja«, sagte ich. Ich warf einen Blick zur Seite: Hannings Gewehr lag wie fortgeworfen neben seinem Helm. Als Hannings Kopf gerade noch über den Rand schaute, gab sich der Alte zufrieden. Ich half Hanning herauszuklettern. »Und nun?«, fragte ich. »Nun musst du mich hineinlegen. Was denn? Glaubst du etwa, Gott wird mir einen Blitz schicken?« Ich wandte mich an Hanning: »Wachtmeister, ziehen Sie Ihre Uniform wieder an und erschießen Sie diesen Mann.« Hanning wurde rot im Gesicht, spuckte aus und fluchte. »Was ist los?« – »Mit Verlaub, Herr Hauptsturmführer, für die Sonderaufgaben brauche ich einen Befehl meines Vorgesetzten.« – »Leutnant Reuter hat Sie mir unterstellt.Er zögerte: »Na gut, einverstanden«, sagte er schließlich. Nachdem er seine Hose abgeklopft hatte, zog er sich den Rock wieder an, hängte sich das Blechschild um, setzte sich den Helm auf und ergriff sein Gewehr. Der Alte hatte sich ans Ende des Grabes gestellt, mit dem Gesicht zu den Bergen, er lächelte noch immer. Hanning legte das Gewehr an und richtete es auf das Genick des Alten. Eine plötzliche Furcht überkam mich. »Halt, stopp!« Hanning senkte das Gewehr, der Alte wandte mir den Kopf zu. »Und mein Grab«, fragte ich ihn, »hast du das auch gesehen?« Er lächelte: »Ja.« Ich atmete mühsam, spürte, wie ich bleich wurde, und empfand sinnlose Angst: »Wo befindet es sich?« Er lächelte noch immer: »Das werde ich dir nicht sagen.« – »Schießen Sie!«, rief ich Hanning zu. Hanning hob das Gewehr und feuerte. Der Alte fiel schlagartig nach vorn, wie eine Marionette, der die Drähte durchgeschnitten wurden. Ich trat ans Grab und beugte mich vor: Wie ein Sack lag er dort unten, den Kopf zur Seite gewandt, und lächelte noch immer in seinen blutbespritzten Bart; auch seine offenen, auf die Erdwand gerichteten Augen lachten. Ich zitterte. »Schütten Sie es zu«, befahl ich Hanning schroff.
Am Fuße des Maschuk schickte ich Hanning zum AOK zurück und ging über die Akademiegalerie zum Puschkin-Bad, das die Wehrmacht für ihre Genesungsurlauber teilweise wiedereröffnet hatte. Ich zog mich aus und tauchte in das kochend heiße, bräunliche schwefelhaltige Wasser ein. Eine ganze Zeit lang blieb ich liegen, dann spülte ich mich unter einer kalten Dusche ab. Diese Behandlung belebte Körper und Geist: Meine Haut war rot und weiß gefleckt, ich fühlte mich wach, fast schwerelos. Ich kehrte in meine Unterkunft zurück und legte mich, die Füße gekreuzt und dem offenen Fenster gegenüber, eine Stunde aufs Sofa. Dann zog ich mich um und ging ins AOK hinunter, um den Wagen zu holen, den ich am Morgen angefordert hatte. Unterwegsrauchte ich und betrachtete die Vulkane, die friedlichen blauen Berge des Kaukasus. Die Nacht brach bereits herein, es war Herbst. Am Ortseingang von Kislowodsk führte die Straße über den Podkumok; unten überquerten die Karren der Bauern den Fluss durch die Furt; der letzte, nicht mehr als ein Brett auf Rädern, wurde von einem Kamel mit Langhaarfell und dickem Hals gezogen. Hohenegg erwartete mich im Kasino. »Sie scheinen ja in ausgezeichneter Verfassung zu sein«, sagte er, als er mich sah. »Ich komme wieder zu Kräften. Aber ich hatte einen seltsamen Tag.« – »Das müssen Sie mir erzählen.« Neben dem Tisch standen zwei Pfälzer Weißweine in Flaschenkühlern: »Die habe ich mir von meiner Frau schicken lassen.« – »Sie sind ein Teufelskerl, Herr Oberstarzt.« Er entkorkte die erste Flasche: Der kalte Wein war herb auf der Zunge, hatte aber einen köstlich
Weitere Kostenlose Bücher