Die Wohlgesinnten
überragt wurden; am Tor hatte die Wehrmacht Wachen aufgestellt; man ließ mich erst hinein, nachdem sich ein Abwehroffizier, ein Hauptmann, eingeschaltet hatte. »Entschuldigen Sie. Der Generalfeldmarschall hat befohlen, den Ort zu sichern.« – »Natürlich, verstehe.« Als ich den Fuß über die Schwelle setzte, schlug mir ein entsetzlicher Gestank entgegen. Da ich kein Taschentuch bei mir hatte, presste ich einen meiner Handschuhe auf die Nase, um atmen zu können. »Nehmen Sie dies«, schlug der Hauptmann vor und reichte mir ein feuchtes Tuch, »es hilft etwas.« Es half tatsächlich ein bisschen, aber nicht genug. Ich atmete durch den Mund – umsonst, der Geruch drang mir in die Nase, süßlich, schwer, ekelhaft. Ich schluckte krampfhaft, um mich nicht übergeben zu müssen. »Ist es das erste Mal?«, fragte der Hauptmann leise. Ich nickte. »Sie werden sich dran gewöhnen«, fuhr er fort, »aber vielleicht nie so ganz.« Er wurde selber blass, bedeckte aber seinen Mund nicht. Wir waren durch einen langen Gewölbegang gekommen und dann über einen kleinen Hof. »Da lang.«
Die Leichen lagen in einem großen gepflasterten Hof, ohne jede Ordnung hier und da zu unregelmäßigen Haufen aufgeschichtet. Ein durchdringendes unaufhörliches Summen erfüllte die Luft: Tausende von dicken blauen Fliegenkreisten um die Kadaver, die Blutlachen, die Fäkalien. Meine Stiefel blieben am Pflaster kleben. Die toten Leiber waren schon aufgedunsen. Ich betrachtete ihre gelblich grüne Haut, ihre unförmigen Gesichter – als hätte man auf sie eingeprügelt. Der Gestank war abscheulich; und dieser Gestank, das wusste ich, war der Anfang und das Ende von allem, der wahre Sinn unserer Existenz. Der Gedanke wühlte mich auf. Kleine Gruppen von Wehrmachtssoldaten mit Gasmasken versuchten, die Haufen zu entwirren und die Leichen nebeneinanderzulegen. Einer von ihnen zog an einem Arm; der löste sich und blieb ihm in der Hand hängen; der Mann warf ihn mit einer Geste des Überdrusses auf einen anderen Haufen. »Es sind über tausend«, sagte der Hauptmann zu mir, fast im Flüsterton. »Sämtliche Ukrainer und Polen, die sie seit ihrer Invasion gefangen gehalten haben. Wir haben Frauen und sogar Kinder gefunden.« Ich wollte die Augen schließen oder mir die Hand vor die Augen halten; zugleich aber wollte ich hinsehen, immer wieder hinsehen, um durch den Blick dieses Unbegreifliche da vor mir, diese Leere für das menschliche Denken zu begreifen. Verstört wandte ich mich an den Hauptmann: »Haben Sie Platon gelesen?« Er sah mich verdutzt an. »Was?« – »Schon gut.« Ich machte kehrt und verließ den Platz. Im ersten kleinen Hof sah ich hinten links eine Tür; ich stieß sie auf; Treppenstufen führten nach oben. Ich irrte durch leere Gänge und entdeckte in einem der Türme eine Wendeltreppe. Die Treppe ging auf einen Holzsteg, der am Mauerwerk befestigt war. Aus der Stadt stieg Brandgeruch auf, der immer noch angenehmer war, und ich atmete tief durch; dann zog ich eine Zigarette aus meinem Etui und zündete sie an. Es war, als ob mir der Gestank verwester Leichen noch in der Nase haftete, ich versuchte, ihn zu vertreiben, indem ich den Rauch durch die Nase ausstieß, bekam aber nur einen Hustenanfall. Ich betrachtete die Aussicht. Hinter der Burg zeichneten sich Gärten ab, kleine Gemüsegärtenmit einigen Obstbäumen; jenseits der Mauer sah ich die Stadt und die Schleife des Styrs; aus dieser Richtung kam kein Rauch, das Land lag in strahlendem Sonnenschein. Ich rauchte in aller Ruhe. Dann stieg ich wieder hinab und kehrte in den großen Hof zurück. Der Hauptmann stand immer noch da. Sein Blick war voller Neugier, aber ohne Häme: »Geht’s besser?« – »Danke, ja.« Ich gab mir alle Mühe, einen dienstlichen Ton anzuschlagen: »Haben Sie genaue Zahlen? Ich brauche sie für meine Meldung.« – »Noch nicht. Morgen, denke ich.« – »Und die Nationalitäten?« – »Wie gesagt, wahrscheinlich Ukrainer und Polen. Genau wissen wir es nicht, die meisten hatten keine Papiere. Sie sind gruppenweise erschossen worden, man hatte es offensichtlich eilig.« – »Sind Juden dabei?« Er sah mich erstaunt an: »Natürlich nicht. Die Juden haben es doch getan.« Ich verzog das Gesicht: »Ach ja, natürlich.« Er drehte sich zu den Leichen um und schwieg einen Augenblick. »So eine Scheiße«, murmelte er schließlich. Ich grüßte. Draußen rotteten sich Kinder zusammen; eines von ihnen fragte mich etwas, doch ich verstand seine
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