Die Wohlgesinnten
Sprache nicht; ich ging wortlos vorbei und kehrte zur Musikakademie zurück, um Kehrig Meldung zu machen.
Am nächsten Tag machte sich das Sonderkommando endlich an die Arbeit. Unter dem Befehl von Callsen und von Kurt Hans exekutierte es in den Burggärten dreihundert Juden und zwanzig Plünderer. In Begleitung von Dr. Kehrig und Sturmbannführer Vogt verbrachte ich den Tag mit Besprechungen, an denen Niemeyer, Ic der 6. Armee, sowie mehrere seiner Kameraden als Vertreter des militärischen Abwehrdienstes teilnahmen – darunter Hauptmann Luley, dem ich am Vortag in der Burg begegnet war und der bei der Spionageabwehr war. Blobel war der Meinung, die Zahl unserer Männer reiche nicht aus, die Wehrmacht solle uns aushelfen; doch Niemeyer war kategorisch: Diese Art Fragen hätten der Generalfeldmarschall und sein Stabschef, OberstHeim, zu entscheiden. Auf einer weiteren Besprechung am Nachmittag verkündete uns Luley sichtlich betroffen, man habe unter den Toten der Burg auch zehn deutsche Soldaten gefunden, grässlich verstümmelt. »Sie waren gefesselt, sie haben ihnen Nase, Ohren, Zunge und Geschlechtsteile abgeschnitten.« Vogt stieg mit ihm zur Burg hinauf und kam totenbleich zurück: »Stimmt, es ist grauenhaft, was für Bestien!« Die Nachricht löste große Aufregung aus; Blobel fluchte auf dem Flur herum, dann kam er zurück, um mit Heim zu reden. Am Abend verkündete er: »Der Generalfeldmarschall will eine Strafaktion durchführen, ein Exempel statuieren, damit diese Schweinebande ein für alle Mal Bescheid weiß.« Callsen berichtete von den Erschießungen des Tages. Es war zwar alles reibungslos abgelaufen, doch die Methode, die Reichenau eingeführt hatte – nur zwei Gewehre pro Delinquent –, hatte Nachteile: Um sicherzugehen, war es besser, auf den Kopf zu zielen als auf die Brust, dabei wurden die Männer jedoch mit Blut und Hirnmasse bespritzt, worüber sie sich beklagten. Eine erregte Diskussion war die Folge. Häfner warf ein: »Sie werden sehen, das läuft noch auf Genickschuss hinaus wie bei den Bolschewisten.« Blobel wurde rot im Gesicht und schlug wütend auf den Tisch: »Ich muss doch bitten, meine Herren! Passen Sie auf, was Sie sagen! Wir sind keine Bolschewisten! … Wir sind deutsche Soldaten. Im Dienst für Führer, Volk und Vaterland! Himmel Herrgott nochmal!« Er wandte sich an Callsen: »Wenn Ihre Männer zu zimperlich sind, dann trichtern Sie ihnen von mir aus Schnaps ein!« Und dann, an Häfner gewandt: »Schüsse ins Genick kommen nicht in Frage. Die Männer sollen nicht das Gefühl persönlicher Verantwortung haben. Die Erschießungen gehen militärisch vonstatten. Und damit basta!«
Am folgenden Vormittag blieb ich im AOK: Bei der Einnahme der Stadt waren Kisten mit Dokumenten sichergestelltworden; mit einem Übersetzer hatte ich diese Akten, insbesondere die des NKWD, durchzugehen und zu entscheiden, welche an das Sonderkommando weiterzuleiten waren, um dort vorrangig ausgewertet zu werden. Wir suchten insbesondere nach Mitgliedslisten der Kommunistischen Partei, des NKWD oder anderer Staatsorgane: Viele dieser Leute waren wahrscheinlich in der Stadt geblieben und hatten sich unter die Zivilbevölkerung gemischt, um Spionageund Sabotageakte zu begehen; sie zu identifizieren war dringend geboten. Gegen Mittag ging ich zur Musikakademie zurück, um Dr. Kehrig zu Rate zu ziehen. Im Erdgeschoss herrschte eine gewisse Unruhe: Männer standen in Grüppchen zusammen und flüsterten aufgeregt. Ich packte einen Scharführer am Ärmel: »Was ist hier los?« – »Ich weiß nicht, Obersturmführer. Ich glaube, es gibt ein Problem mit dem Standartenführer.« – »Wo sind die Offiziere?« Er zeigte auf die Treppe, die zu unseren Unterkünften führte. Im Treppenhaus begegnete ich Kehrig, der gerade herunterkam und vor sich hin murmelte: »Unmöglich! Einfach unmöglich!« – »Was ist los?«, fragte ich ihn. Er warf mir einen finsteren Blick zu und stieß hervor: »Wie soll man unter solchen Bedingungen arbeiten?« Damit setzte er seinen Weg fort. Ich stieg noch ein paar Stufen hoch und hörte einen Schuss, zerklirrendes Glas, Schreie. Auf dem Gang, vor der offenen Tür von Blobels Zimmer, standen zwei Wehrmachtsoffiziere unruhig neben Kurt Hans. »Was ist los?«, fragte ich Hans. Die Hände im Rücken verschränkt, deutete er mit einer Kinnbewegung auf das Zimmer. Ich trat ein. Blobel saß – gestiefelt, aber ohne Jacke – auf seinem Bett und fuchtelte mit einer Pistole herum;
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