Die Wohlgesinnten
übersetzte; dann überreichten sieuns Geschenke: für Weseloh einen großen handgeknüpften Orientteppich, den zwei Männer vor uns entfalteten, bevor sie ihn wieder zusammenlegten, und sehr schön gearbeitete Kinshale in Etuis aus schwarzem Holz und Silber für Reinholz und mich. Weseloh bekam außerdem noch silberne Ohrringe und einen Ring von Schabajews Frau. Die ganze Gruppe begleitete uns auf die Straße, und Schabajew schüttelte uns feierlich die Hand: »Er dankt uns, dass wir ihm Gelegenheit gegeben haben, die tatische Gastfreundschaft unter Beweis zu stellen«, übersetzte Weseloh unwillig. »Er entschuldigt sich für die Armseligkeit des Empfangs, sagt aber, das sei die Schuld der Bolschewiken, die ihnen alles gestohlen hätten.«
»Was für ein Affentheater!«, rief sie im Auto aus. »Das ist nichts im Vergleich zu dem, was sie für die Wehrmachtskommission veranstaltet haben«, meinte Reinholz. »Und diese Geschenke!«, fuhr sie fort. »Was denken die sich dabei? Dass SS-Offiziere käuflich sind? Das ist nun wirklich jüdische Taktik.« Ich sagte nichts: Weseloh ging mir auf die Nerven, sie schien von einer vorgefassten Meinung auszugehen; ich hielt ihren Ansatz für falsch. In der Dienststelle des Sonderkommandos berichtete sie uns, dass der Alte, mit dem sie diskutiert hatte, den Koran, die Gebete und die Sitten des Islams gut gekannt habe; doch nach ihrer Auffassung bewies das gar nichts. Eine Ordonnanz trat ein und wandte sich an Reinholz: »Ein Anruf von der Ortskommandantur. Sie sagen, jemand habe nach einem Leutnant Voss gefragt.« – »Ah, das war ich«, sagte ich. Ich folgte der Ordonnanz in den Funkraum und nahm den Hörer auf. Eine unbekannte Stimme meldete sich: »Haben Sie eine Nachricht für Leutnant Voss hinterlassen?« – »Ja«, erwiderte ich verblüfft. »Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass er verwundet ist und nicht zurückrufen kann«, sagte der Mann. Plötzlich war meine Kehle wie zugeschnürt: »Ist es schlimm?« – »Ja, ziemlich.« – »Wo ist er?« – »Hier, im Krankenrevier.« – »Ich komme.«Ich legte auf und ging zu Weseloh und Reinholz zurück. »Ich muss zur Ortskommandantur rüber«, sagte ich und nahm meinen Mantel. »Was gibt’s?«, fragte Reinholz. Ich war vermutlich bleich geworden und wandte mich rasch ab. »Bin gleich wieder da«, sagte ich im Hinausgehen.
Draußen wurde es Abend, es war sehr kalt. Ich war zu Fuß aufgebrochen; in der Eile hatte ich meine Schapka vergessen und begann bald zu schlottern. Zügig ausschreitend wäre ich fast auf einer Stelle mit Glatteis ausgerutscht. Gerade konnte ich mich noch an einem Pfahl festhalten, zerrte mir dabei aber schmerzhaft den Arm. Die Kälte legte sich mir wie ein Ring um den bloßen Kopf, meine tief in den Taschen vergrabenen Finger wurden steif. Die Kälte ließ mich bis ins Mark erschauern. Ich hatte die Entfernung zur Ortskommandantur unterschätzt: Als ich sie erreichte, war es finstere Nacht, ich zitterte wie Espenlaub. Ich verlangte nach einem Offizier vom Stab: »Habe ich mit Ihnen telefoniert?«, rief er mir zu, als er im Vorzimmer ankam, wo ich mich, ohne Erfolg, etwas zu erwärmen versuchte. »Ja. Was ist geschehen?« – »Wissen wir noch nicht genau. Kaukasier haben ihn auf einem Ochsenkarren gebracht. Er war in einem kabardinischen Aul , im Süden. Nach Auskunft der Zeugen ging er in die Häuser und befragte die Leute nach ihrer Sprache. Einer der Nachbarn meinte, er habe sich mit einem der jungen Mädchen verdrückt und der Vater habe sie überrascht. Sie hatten Schüsse gehört: Als sie hinkamen, fanden sie den Leutnant verwundet und das Mädchen tot vor. Der Vater war verschwunden. Da haben sie Voss hergebracht. Natürlich ist das nur die Version, die sie uns erzählt haben. Wir müssen die Sache untersuchen.« – »Wie geht es ihm?« – »Schlecht, fürchte ich. Er hat eine Ladung in den Bauch gekriegt.« – »Kann ich ihn sehen?« Der Offizier zögerte, er musterte mein Gesicht mit unverhohlener Neugier. »Die Sache geht die SS nichts an«, sagte er schließlich. »Er ist einFreund von mir.« Er schwankte noch einen Moment, dann gab er sich einen Ruck: »Also dann, kommen Sie! Aber ich warne Sie, er ist in schlimmer Verfassung.«
Durch frisch in Grau und Hellgrün gestrichene Gänge führte er mich in einen großen Saal, in dem Kranke und Leichtverwundete in langen Bettreihen lagen. Voss sah ich nicht. Ein Arzt, der einen weißen, etwas fleckigen Kittel über seiner Uniform trug, kam
Weitere Kostenlose Bücher