Die Wohlgesinnten
schwerwiegender Irrtum. Als Juden und Fremdkörper unter den einheimischen Völkern werden diese Leute eine ständige Gefahr für unsere Streitkräfte bleiben: eine Brutstätte für Spionage und Sabotage und ein sicherer Hort für die Partisanen. Es gibt keinen Zweifel an der Notwendigkeit radikaler Maßnahmen. Aber wir brauchen solide Beweise, um die Spitzfindigkeiten der Wehrmacht zuwiderlegen.« – »Ich denke, Oberführer, es wird nicht schwer sein, die Richtigkeit unseres Standpunkts zu beweisen«, behauptete Weseloh mit ihrer dünnen hellen Stimme. »Zu meinem großen Bedauern kann ich das nicht selbst machen, aber ich übergebe Ihnen vor meiner Abreise noch einen ausführlichen Bericht, der alle wichtigen Punkte behandelt. Damit können Sie allen Einwänden der Wehrmacht oder des Ostministeriums begegnen.« – »Wunderbar. Die wissenschaftlichen Argumente gehen Sie bitte mit Hauptsturmführer Aue durch, der diesen Teil vortragen wird. Ich werde unter dem Aspekt der Gefährdung die konkrete Auffassung der Sicherheitspolizei erläutern.« Während er sprach, überflog ich die Liste der Zitate, die Weseloh zusammengetragen hatte mit dem Ziel, einen rein jüdischen und sehr alten Ursprung der Bergjuden zu beweisen. »Gestatten Sie mir eine Bemerkung zu den Unterlagen, die Fräulein Dr. Weseloh zusammengestellt hat, Oberführer? Es handelt sich zwar um eine ausgezeichnete Arbeit, aber sie hat alle Texte unberücksichtigt gelassen, die unserem Standpunkt widersprechen. Die Experten der Wehrmacht und des Ostministeriums werden es sich nicht nehmen lassen, sie uns unter die Nase zu reiben. Ich glaube, dadurch wird die wissenschaftliche Basis unserer Position erheblich geschwächt.« – »Sie haben wohl zu oft mit Ihrem Freund, dem Leutnant Voss gesprochen, Hauptsturmführer Aue«, mischte sich Prill ein. »Er scheint Ihr Urteil beeinflusst zu haben.« Ich warf ihm einen wütenden Blick zu: Das hatte er also mit Turek ausgeheckt. »Sie täuschen sich, Hauptsturmführer. Ich versuchte nur darauf hinzuweisen, dass die vorliegende wissenschaftliche Dokumentation nicht schlüssig ist und dass es ein Fehler wäre, unseren Standpunkt darauf zu gründen.« – »Dieser Voss ist getötet worden, nicht wahr?«, warf Leetsch ein. »Ja«, erwiderte Bierkamp. »Von Partisanen, vielleicht sogar von diesen Juden. Das ist natürlich bedauerlich. Aber ich habeGrund zu der Annahme, dass er aktiv gegen uns gearbeitet hat. Ich verstehe Ihre Zweifel, Hauptsturmführer Aue; doch Sie müssen sich an das Wesentliche halten, nicht an die Nebensächlichkeiten. Die Interessenlage von Sipo und SS ist hier eindeutig, das allein zählt.« – »Auf jeden Fall springt ihr jüdischer Charakter in die Augen«, meinte Weseloh. »Sie sind kriecherisch und haben sogar versucht, uns zu bestechen.« – »Vollkommen richtig«, bestätigte Persterer. »Sie sind mehrfach zur Dienststelle des Kommandos gekommen und haben Pelzmäntel, Bettdecken und Küchengeschirr jeder Art angeschleppt. Als Unterstützung für unsere Truppen, haben sie gesagt, aber gleichzeitig haben sie uns Teppiche, schöne Messer und Schmuck geschenkt.« – »Wir dürfen uns nicht reinlegen lassen«, verkündete Holste, der sich offenbar langweilte. »Schon«, sagte Prill, »aber bedenken Sie, dass sie das Gleiche mit der Wehrmacht machen.« So ging die Diskussion noch eine Zeitlang fort. Schließlich erklärte Bierkamp: »Brigadeführer Korsemann wird persönlich auf der Konferenz in Naltschik anwesend sein. Ich denke nicht, dass die Heeresgruppe uns offen zu widersprechen wagt, wenn wir unsere Sache gut vertreten. Schließlich steht auch ihre eigene Sicherheit auf dem Spiel. Von Ihnen, Sturmbannführer Persterer, erwarte ich, dass Sie alle Vorbereitungen für eine schnelle und wirkungsvolle Aktion treffen. Sobald wir grünes Licht haben, müssen wir schnell handeln. Ich möchte das bis Weihnachten erledigt haben, damit ich die Zahlen in meinen Jahresschlussbericht aufnehmen kann.«
Nach der Sitzung ging ich zu Weseloh, um mich von ihr zu verabschieden. Sie schüttelte mir herzlich die Hand. »Sie können sich nicht vorstellen, wie glücklich ich war, diesen Auftrag ausführen zu dürfen, Hauptsturmführer Aue. Für Sie hier im Osten ist der Krieg etwas Alltägliches; doch in Berlin, in den Dienststellen, gerät rasch in Vergessenheit, in welch tödlicher Gefahr sich die Heimat befindet, genauso wie dieEntbehrungen und Leiden an der Front. Hier gewesen zu sein hat mir erlaubt, das
Weitere Kostenlose Bücher