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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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– »Ich fahre heute Abend noch nach Pjatigorsk zurück«, sagte ich mit tonloser Stimme. »Ich habe dort zu tun. Hier gibt es keine Partisanen, da kann ich nachts fahren.« Reinholz zuckte die Achseln: »Das ist zwar gegen die Vorschriften der Gruppe, Hauptsturmführer, aber es steht Ihnen natürlich frei.« – »Ich vertraue Ihnen Fräulein Dr. Weseloh an. Setzen Sie sich mit mir in Verbindung, wenn Sie etwas brauchen, egal, was es ist.« Weseloh, die mit übereinandergeschlagenen Beinen auf ihrem Holzstuhl saß, schien sich sehr wohl zu fühlen und glücklich über ihr Abenteuer zu sein; meine Abfahrt ließ sie gleichgültig. »Vielen Dank für Ihre Hilfe, Hauptsturmführer«, sagte sie. »Ach ja, kann ich mit diesem Dr. Voss sprechen?« Ich stand schon in der Tür, die Schapka in der Hand. »Nein.« Ohne ihre Reaktion abzuwarten, verließ ich den Raum. Mein Fahrer schien von dem Gedanken an eine Nachtfahrt nicht sehr angetan zu sein, fügte sich aber, als ich meinen Befehl in recht scharfem Ton wiederholte. Die Fahrt dauerte lange: Lemper fuhr sehr langsam, weil stellenweise Glatteis herrschte. Außerhalb des schmalen Lichtstreifens derScheinwerfer, die gegen Fliegersicht größtenteils verdunkelt waren, sah man nichts; von Zeit zu Zeit tauchten aus der Dunkelheit vor uns militärische Streckenposten auf. Zerstreut tastete ich nach dem Kinshal , den mir Schabajew geschenkt hatte, rauchte eine Zigarette nach der anderen und starrte gedankenverloren in die weite leere Nacht.
     
    Die Untersuchung bestätigte die Aussagen der Dorfbewohner über den Tod des Leutnants Dr. Voss. In dem Haus, in dem das Drama stattgefunden hatte, wurde sein Notizheft gefunden, blutbeschmiert und mit kabardinischen Konsonanten und grammatischen Zeichen gefüllt. Hysterisch schwor die Mutter des Mädchens, sie habe ihren Mann seit dem Vorfall nicht mehr wiedergesehen; die Nachbarn meinten, er habe sich zweifellos mit der Tatwaffe, einem alten Jagdgewehr, in die Berge abgesetzt, um sich als Abrek durchzuschlagen, wie man im Kaukasus sagt, oder um sich einer Bande von Partisanen anzuschließen. Einige Tage später suchte eine Abordnung Dorfältester General von Mackensen auf: Feierlich entschuldigten sie sich im Namen des Aul , beteuerten ihre unverbrüchliche Freundschaft mit der deutschen Wehrmacht und übergaben große Mengen von Teppichen, Schaffellen und Juwelen als Geschenke für die Familie des Verstorbenen. Sie schworen, sie würden den Mörder selbst aufspüren, um ihn zu töten oder auszuliefern; die wenigen noch im Aul verbliebenen kräftigen Männer seien aufgebrochen, um die Berge zu durchkämmen. Sie fürchteten Vergeltungsmaßnahmen: Mackensen beruhigte sie und versprach, es werde keine Kollektivstrafen geben. Ich wusste, dass Schadow mit Köstring darüber gesprochen hatte. Die Armee brannte das Haus des Täters nieder, gab einen neuen Tagesbefehl aus, in dem sie das Verbot der Fraternisierung mit Kaukasierinnen wiederholte,und legte die Angelegenheit umgehend zu den Akten.
    Die Wehrmachtskommission beendete ihre Studie über die Bergjuden, und Köstring beraumte in Naltschik eine Konferenz zu diesem Thema an. Das wurde umso dringender, als sich der kabardinisch-balkarische Nationalrat gerade konstituierte und die Heeresgruppe die Angelegenheit vor der Bildung des Autonomen Distrikts erledigen wollte, die für den 18. Dezember während des Kurman Bairam vorgesehen war. Auch Weseloh hatte ihre Arbeit beendet und setzte ihren Bericht auf; Bierkamp rief uns in Woroschilowsk zusammen, um unsere Haltung abzustimmen. Nach einigen relativ milden Tagen, an denen es wieder geschneit hatte, war die Temperatur erneut auf fast zwanzig Grad minus gefallen; ich hatte endlich meine Schuba und meine Stiefel bekommen; die waren zwar etwas klobig, hielten aber warm. Ich fuhr zusammen mit Weseloh; von Woroschilowsk wollte sie direkt nach Berlin zurück. Beim Gruppenstab traf ich Persterer und Reinholz wieder, die Bierkamp ebenfalls einbestellt hatte; außerdem nahmen an dem Treffen noch Leetsch, Prill und Sturmbannführer Holste, Leiter IV/V der Gruppe, teil. »Nach meinen Informationen«, begann Bierkamp, »wollen die Wehrmacht und dieser Dr. Bräutigam die Bergjuden von den antijüdischen Maßnahmen ausnehmen, um die guten Beziehungen zu den Kabardinern und Balkaren nicht zu belasten. Um Kritik aus Berlin zu vermeiden, werden sie behaupten, es handle sich nicht um Juden im eigentlichen Sinne. Nach unserer Ansicht wäre das ein

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