Die Wohlgesinnten
wirklich zu begreifen. Die Erinnerung an Sie alle werde ich wie eine Kostbarkeit in meinem Herzen mitnehmen. Viel Glück, viel Glück. Heil Hitler!« Ihr Gesicht glühte, sie befand sich in einem Zustand wunderlicher Überspanntheit. Ich erwiderte ihren Gruß und ging.
Jünger hielt sich noch immer in Woroschilowsk auf, und ich hatte gehört, dass er Bewunderer zu einer Audienz empfing; in Kürze sollte er weiterreisen, um Ruoffs Divisionen vor Tuapse zu inspizieren. Doch mir war alle Lust auf ein Treffen mit Jünger vergangen. Als ich nach Pjatigorsk zurückkehrte, waren meine Gedanken bei Prill. Augenscheinlich versuchte er, mir zu schaden; ich verstand nicht ganz, warum: Ich hatte nie Streit mit ihm gesucht, doch er hatte sich entschieden, Tureks Partei zu ergreifen. Er stand in ständigem Kontakt mit Bierkamp und Leetsch, da war es keine Schwierigkeit für ihn, sie durch kleine Andeutungen gegen mich aufzubringen. Diese Geschichte mit den Bergjuden drohte, mich in eine ungünstige Lage zu bringen: Ich hatte keine vorgefasste Meinung, es ging mir nur um eine gewisse intellektuelle Redlichkeit, und ich verstand nicht recht, warum Bierkamp so versessen darauf war, sie um jeden Preis zu liquidieren; war er von ihrer Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse ehrlich überzeugt? Für mich ging das aus den Unterlagen keineswegs eindeutig hervor; hinsichtlich ihres Aussehens und ihres Verhaltens hatten sie keinerlei Ähnlichkeit mit den Juden, die wir kannten; wenn man sie in ihren Dörfern erlebte, glichen sie in jeder Hinsicht den Kabardinern, Balkaren oder Karatschaiern. Auch die machten uns prachtvolle Geschenke, es war ein alter Brauch, und es bestand überhaupt kein Anlass, darin einen Bestechungsversuch zu sehen. Aber ich musste aufpassen: Unentschiedenheit konnte mir als Schwäche ausgelegt werden, Prill und Turek würden meinen kleinsten Fehler ausnutzen.
In Pjatigorsk fand ich das Kartenzimmer wieder verschlossen: Die Armee Hoth, die aus den verstärkten Resten der 4. Panzerarmee gebildet worden war, unternahm von Kotelnikowo aus einen Vorstoß in Richtung des Stalingrader Kessels. Die Offiziere trugen eine optimistische Miene zur Schau, und mit Hilfe ihrer Kommentare konnte ich die offiziellen Wehrmachtsberichte und Gerüchte vervollständigen; all das legte wieder einmal die Vermutung nahe, dass der Führer, wie im Vorjahr vor Moskau, Recht gehabt hatte, standhaft zu bleiben. Jedenfalls musste ich die Konferenz über die Bergjuden vorbereiten und hatte daher wenig Zeit für anderes. Als ich die Berichte und meine Aufzeichnungen noch einmal durchlas, dachte ich an das, was Voss bei unserem letzten Gespräch gesagt hatte; und als ich die zusammengetragenen Beweise prüfte, fragte ich mich: Was hätte er davon gehalten, hätte er sie akzeptiert oder abgelehnt? Letztlich war die Dokumentation recht dürftig. Ich hegte ernsthafte Zweifel an der chasarischen Hypothese, plausibel erschien mir einzig die persische Herkunft; und was das zu bedeuten hatte, war mir unklarer denn je. Ich bedauerte zutiefst, dass Voss nicht mehr da war; er war hier der Einzige gewesen, mit dem ich ernsthaft darüber hätte diskutieren können; den anderen, Angehörigen der Wehrmacht wie der SS, lag im Grunde wenig an der Wahrheit und an wissenschaftlicher Genauigkeit: Für sie war das lediglich eine politische Frage.
Die Konferenz fand Mitte des Monats statt, einige Tage vor dem Großen Bairam. Sie war gut besucht, die Wehrmacht hatte in aller Eile notdürftig einen großen Versammlungssaal in der ehemaligen kommunistischen Parteizentrale hergerichtet, auf einem riesigen ovalen Tisch hatten Splitter der Granaten, die das Dach zerstört hatten, ihre Spuren hinterlassen. Es entspann sich eine kurze heftige Diskussion über die Sitzordnung: Köstring wollte die verschiedenen Delegationen zusammensetzen – Wehrmachtsverwaltung, Abwehr,AOK, Ostministerium und SS –, was logisch erschien, doch Korsemann bestand darauf, dass alle Anwesenden nach Dienstgrad zu sitzen hätten; schließlich gab Köstring nach, was zur Folge hatte, dass Korsemann rechts neben ihm Platz nahm, Bierkamp ein Stück weiter unten und ich mich fast am Ende des Tisches wiederfand, Bräutigam gegenüber, der nur ein Reservehauptmann war, und neben dem Sachverständigen vom Institut des Ministers Rosenberg, einem Zivilisten. Köstring eröffnete die Sitzung und ließ dann Selim Schadow hereinführen, den Chef des kabardinisch-balkarischen Nationalrats, der eine lange Rede
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