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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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überragten. Weit hinten ließ sich die Sonne wie eine rote aufgeblähte Kugel auf dem Horizont nieder, doch dieses Rot färbte nichts, der Schnee blieb in seiner Weiße und Bläue. Seit wir abgehoben hatten, flog der Storch geradeaus, ziemlich tief, bedächtig, wie eine ruhige Hummel; plötzlich kippte er nach links und ging steil hinunter, zu beiden Seiten reihten sich unter mir große Transportmaschinen, und schon hüpfte der Storch über den harten Schnee und rollte zum Ende des Flugplatzes. Der Pilot stellte den Motor ab und zeigte auf ein langes niedriges Gebäude: »Da hinten ist es. Sie werden erwartet.« Ich dankteihm und ging mit meinem Gepäck rasch auf ein Tor zu, das von einer herabhängenden Glühbirne erhellt wurde. Schwerfällig setzte gerade eine Junkers Ju 52 auf der Rollbahn auf. Mit hereinbrechender Nacht fiel die Temperatur rasch, die Kälte schlug mir wie eine Ohrfeige ins Gesicht und brannte mir in der Lunge. Im Gebäude forderte mich ein Unteroffizier auf, mein Gepäck abzustellen, und führte mich in einen Einsatzraum, in dem es vor Geschäftigkeit brummte wie in einem Bienenkorb. Ein Oberleutnant der Luftwaffe begrüßte mich und überprüfte meine Papiere. »Leider ist in den Maschinen heute Abend kein Platz mehr frei«, sagte er. »Ich kann Sie für einen Flug morgen früh vormerken. Es wartet übrigens noch ein Mitreisender.« – »Sie fliegen nachts?« Verdutzt sah er mich an: »Selbstverständlich. Warum?« Ich schüttelte den Kopf. Er ließ mich mit meinen Sachen in einen Schlafsaal bringen, der in einem anderen Gebäude untergebracht war: »Versuchen Sie zu schlafen«, riet er mir und verabschiedete sich. Der Schlafsaal war leer, aber auf einem der Betten lagen Gepäckstücke. »Das gehört dem Offizier, der mit Ihnen fliegt«, erläuterte der Spieß, der mich einwies. »Er wird im Kasino sein. Wollen Sie etwas essen, Herr Hauptsturmführer?« Ich folgte ihm in einen anderen Saal mit einigen von einer gelblichen Glühbirne beleuchteten Tischen und Bänken, an denen Flieger und Mechaniker saßen und sich gedämpft unterhielten. Hohenegg saß allein an der Ecke eines Tisches; er brach in schallendes Gelächter aus, als er mich sah: »Mein lieber Hauptsturmführer! Was haben Sie denn schon wieder für Dummheiten angestellt?« Ich spürte, wie ich vor Freude rot wurde, und holte mir erst einen Teller dicke Erbsensuppe, Brot und einen Becher Ersatztee, bevor ich ihm gegenüber Platz nahm. »Es ist doch wohl nicht Ihr geplatztes Duell, dem ich das Vergnügen Ihrer Gesellschaft verdanke?«, fragte er mit seiner heiteren und angenehmen Stimme. »Das würde ich mir nie verzeihen.« – »Wieso sagen Sie das?« Ermachte ein verlegenes und auch amüsiertes Gesicht: »Ich muss Ihnen gestehen, dass ich Ihr Vorhaben verraten habe.« – »Sie waren das!« Ich wusste nicht, ob ich wütend werden oder in Lachen ausbrechen sollte. Hohenegg sah aus wie ein kleiner Junge, den man bei einem Streich ertappt hatte. »Ja. Aber lassen Sie mich vorab feststellen, dass es wirklich eine idiotische Idee war, völlig deplatzierte deutsche Romantik. Und dann erinnern Sie sich, dass die uns eine Falle stellen wollten. Ich hatte keine Lust, mich mit Ihnen abmurksen zu lassen.« – »Herr Oberstarzt, Sie sind ein kleingläubiger Mensch. Gemeinsam hätten wir ihren hinterhältigen Plan schon durchkreuzt.« In wenigen Worten informierte ich ihn über meine Streitereien mit Bierkamp, Prill und Turek. »Sie sollten sich nicht beklagen«, meinte er. »Ich bin sicher, das wird eine sehr interessante Erfahrung.« – »Die Ansicht hat auch mein Oberführer vertreten. Aber ich bin nicht so recht überzeugt davon.« – »Weil es Ihnen noch an der erforderlichen philosophischen Gelassenheit fehlt. Ich dachte, Sie wären aus anderem Holz geschnitzt.« – »Vielleicht habe ich mich verändert. Und Sie, Herr Oberstarzt? Was führt Sie hierher?« – »Ein Medizinalbürokrat in Deutschland hat beschlossen, dass wir die Gelegenheit nutzen sollten, die Auswirkung der Unterernährung auf unsere Soldaten zu untersuchen. Das AOK 6 hielt es nicht für nötig, doch das OKH hat darauf bestanden. Also wurde ich damit beauftragt, diese faszinierende Studie durchzuführen. Ich muss gestehen, dass das trotz der Umstände meine Neugier weckt.« Ich richtete meinen Löffel auf seinen runden Bauch: »Hoffen wir, dass Sie nicht selbst zu Ihrem Untersuchungsgegenstand werden.« – »Sie werden taktlos, Hauptsturmführer. Wir sprechen uns

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