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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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wüstes Durcheinander: Braune Krater waren wie große schmutzige Flecken über den Schnee verteilt; dazwischen lagen Haufen von ineinander verkeiltem, weiß bepudertem Schrott. Das Flugzeug verlor jetzt rasch an Höhe, doch ich sah die Rollbahn noch immer nicht. Dann setzte es heftig auf, hüpfte noch einmal hoch und kam zum Stehen. Der Mechaniker löste seinen Gurt und schrie: »Schnell, schnell!« Ich hörte eine Explosion, eine Schneefontäne schlug gegen das Fenster und die Kabinenwand. Fieberhaft löste ich den Gurt. Die Maschine war ein wenig schräg zum Stehen gekommen, der Mechaniker öffnete die Tür und brachte die Leiter aus. Der Pilot hatte die Motoren nicht abgestellt. Der Mechaniker ergriff unser Gepäck, schleuderte es umstandslos durch die Türluke und forderte uns mit ungeduldigen Gesten zum Aussteigen auf. Feiner harter Schnee wurde mir von einem schneidenden Wind ins Gesicht gepeitscht. Dick eingemummte Männer machten sich am Flugzeug zu schaffen, schoben Keile vor die Räder, öffneten die Ladeluke. Ich glitt die Leiter hinunter und sammelte mein Gepäck auf. Ein mit Maschinenpistole bewaffneter Feldgendarm grüßte und bedeutete mir, ihm zu folgen; ich schrie ihm zu: »Warten Sie, warten Sie!« Jetzt stieg Hohenegg aus. Einige Dutzend Meter entfernt krepierte eine Granate im Schnee, niemand schien darauf zu achten. Am Rande der Rollbahn erhob sich eine Böschung aus geräumtem Schnee; dort wartete eine Menschengruppe, von mehreren Feldgendarmen bewacht, die ihre unheilverkündenden Blechschilder über die Mäntel gehängt hatten. Unserem Begleitschutz folgend, näherten Hohenegg und ich uns der Gruppe; von Nahem sah ich, dass die meisten dieser MännerVerbände trugen oder sich auf behelfsmäßige Krücken stützten; zwei lagen auf Tragen; allen war gut sichtbar das »Verwundeten«-Pappschild an den Mantel gesteckt. Auf ein Zeichen hin stürzten sie alle zum Flugzeug. Hinter ihnen entstand ein wildes Gedränge: Feldgendarmen sicherten eine Öffnung im Stacheldraht, dahinter wogte eine Menge verstörter Männer, die brüllten, flehten, mit bandagierten Gliedmaßen fuchtelten und gegen die Feldgendarmen drängten, die ihrerseits brüllten und ihre Maschinenpistolen in Anschlag brachten. Eine neue Detonation, näher dieses Mal, ließ den Schnee aufstieben; einige Verwundete hatten sich zu Boden geworfen, doch die Feldgendarmen blieben ungerührt; hinter uns ertönten Schreie, einige der Männer, die das Flugzeug entluden, schienen getroffen zu sein, sie lagen am Boden, andere zogen sie weg, die durchgelassenen Verwundeten stießen sich gegenseitig beiseite, um die Leiter zu erklimmen, wieder andere Soldaten warfen die letzten Säcke und Kisten aus dem Flugzeug. Der Feldgendarm, der uns begleitete, gab einen kurzen Feuerstoß in die Luft ab, dann stürzte er sich in die hysterische Menge, die flehentlich die Hände ausstreckte, indem er sich mit den Ellenbogen einen Weg bahnte; ich folgte ihm, so gut ich konnte, und zog Hohenegg hinter mir her. Ein Stück weiter erblickte ich Reihen reifbedeckter Zelte und braune Bunkereingänge; dahinter stand dicht gedrängt eine Gruppe Funkwagen zwischen einem Wald von Masten, Antennen und Drähten; am Ende der Rollbahn lag ein riesiger Schrottplatz mit Wracks, ausgeschlachteten oder zusammengequetschten Flugzeugen, ausgebrannten Lastern, Panzern, zertrümmerten Motoren, aufeinandergeschichtet und halb unter dem Schnee begraben. Mehrere Offiziere kamen uns entgegen; wir grüßten uns gegenseitig. Zwei Militärärzte begrüßten Hohenegg; mich nahm ein junger Abwehrleutnant in Empfang, der sich vorstellte und mich willkommen hieß: »Ich soll mich um Siekümmern und ein Fahrzeug auftreiben, das Sie in die Stadt bringt.« Hohenegg verabschiedete sich. »Herr Oberstarzt!«, ich schüttelte ihm die Hand. »Wir sehen uns sicherlich wieder«, sagte er freundlich zu mir. »So groß ist der Kessel ja nicht. Wenn Sie in trauriger Stimmung sind, kommen Sie vorbei und trinken Sie einen Kognak mit mir.« Ich machte eine ausholende Handbewegung: »Ich vermute, dass Ihr Kognak nicht lange reichen wird, Herr Oberstarzt.« Ich folgte dem Leutnant. Bei den Zelten bemerkte ich große, mit Schnee bestäubte Haufen. Ab und zu erklang in der Luft über dem Flugplatz eine dumpfe Detonation. Schon machte sich die Junkers, die uns hergebracht hatte, wieder langsam auf den Weg zum Ende der Rollbahn. Ich blieb stehen, um zu verfolgen, wie sie abhob, der Leutnant schaute ebenfalls. Der

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