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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Schellenberg hatte ihm auseinandergesetzt, was man von uns erwartete. »Es genügt, die Zeitungen zu lesen, um herauszufinden, wer Krieg will und wer nicht. Schwieriger ist es, den tatsächlichen Einfluss der verschiedenen Gruppierungen einzuschätzen. Und vor allem den Einfluss der Juden. Der Führer ist anscheinend davon überzeugt, dass sie Deutschland in einen weiteren Krieg treiben wollen; aber werden die Franzosen sich das gefallen lassen? Das ist die Frage.« Er lachte frei heraus: »Und dann isst man gut in Paris! Und die Mädchen sind hübsch.« Der Auftrag ließ sich gut an. Ich sah die alten Freunde wieder, Robert Brasillach, der mit seiner Schwester Suzanne und seinem Schwager Bardèche eine Spanienreise im Wohnwagen plante, ferner Blond, Rebatet und einige flüchtigere Bekannte, alles alte Kameraden aus der Zeit der Vorbereitungsklassen undder Studienjahre an der ELSP. In den Nächten schleppte mich Rebatet, schon halb betrunken, durch das Quartier Latin und gab gelehrte Kommentare zu den frisch an die Wände der Sorbonne gepinselten Parolen: MENE MENE TEKEL UFARSIN; am Tag nahm er mich manchmal zu Céline mit, der jetzt unglaublich berühmt war und gerade ein zweites ätzendes Pamphlet veröffentlicht hatte. In der Metro trug mir Poulain, ein Freund von Brasillach, ganze Passagen daraus vor: Es gibt keinen grundsätzlichen, unversöhnlichen Haß zwischen Franzosen und Deutschen, nur ein fortwährendes, unbarmherziges Ränkespiel der jüdisch-britischen Kriegstreiber, die unter allen Umständen verhindern wollen, daß Europa sich wieder, wie vor 843, zu einem einzigen Block, einer französisch-deutschen Einheit, zusammenschließt. Die ganze Begabung Judäo-Britanniens erschöpft sich darin, uns von einem Konflikt in den anderen, einem Blutbad ins andere zu stürzen – Aderlasse, aus denen wir, Franzosen wie Deutsche, regelmäßig und immer aufs neue in schrecklicher Verfassung hervorgehen, ausgeblutet und den Juden der Cité auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. Was Gaxotte und Robert anging, von denen L’Humanité behauptete, sie säßen im Gefängnis, so erklärten sie all denen, die es hören wollten, die französische Politik beziehe ihre ganze Weisheit aus den Astrologiebüchern von Trarieux d’Egmont, der durch einen Glückstreffer das Datum von München genau vorausgesagt habe. Die französische Regierung hatte gerade – kein gutes Omen – Abetz und andere offizielle Vertreter Deutschlands ausgewiesen. Jeder wollte meine Meinung hören: »Seit Versailles auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet ist, gibt es für uns keine französische Frage mehr. Kein Mensch in Deutschland erhebt Ansprüche auf das Elsass oder Lothringen. Doch mit Polen ist nichts verbindlich geregelt. Wir begreifen nicht, wieso Frankreich sich da einmischen muss.« Tatsache war aber, dass die französischeRegierung sich einmischen wollte. Wer der jüdischen These keinen Glauben schenken mochte, gab England die Schuld: »Es will sein Empire schützen. Das ist seine Politik seit Napoleon: keine geeinte Macht auf dem Kontinent.« Andere waren der Meinung, dass, ganz anders als England, das in der Frage der Intervention eher zurückhaltend bleibe, zögerlicher, der französische Generalstab vielmehr von einer Allianz mit Russland träume, um Deutschland niederzuwerfen, bevor es zu spät sei . Trotz ihrer Begeisterung waren meine Freunde pessimistisch. »Die französische Rechte schwimmt gegen den Strom«, meinte Rebatet eines Abends zu mir. »Wegen der Ehre.« Alle schienen, wenn auch widerwillig, zu akzeptieren, dass es früher oder später doch zum Krieg kommen würde. Die Rechte gab der Linken und den Juden, die Linke und die Juden natürlich Deutschland die Schuld. Thomas sah ich kaum. Einmal nahm ich ihn in das Bistro mit, in dem ich die Mitarbeiter von Je Suis Partout wiedertraf. Ich stellte ihn als einen Kommilitonen vor. »Ist er dein Pylades?«, fragte mich Brasillach boshaft auf Griechisch. »Genau«, erwiderte Thomas in derselben Sprache, jedoch mit seinem weichen Wiener Akzent. »Und er ist mein Orest. Hüte dich vor der Macht einer Freundschaft in Waffen.« Er selbst hatte eher Kontakte zu Wirtschaftskreisen geknüpft; während ich mit begeisterten jungen Leuten in Dachwohnungen saß, die aus allen Nähten platzten, und mich mit billigem Wein und Nudeln begnügte, gönnte er sich Gänseleberpastete in den besten Brasserien der Stadt. »Taubert zahlt«, er lachte. »Warum also darben?«
    Wieder in Berlin, tippte

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