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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Hauptsturmführer Gorter, der Vertreter des Arbeitseinsatzes, das Wort: Nach der Gesamtstatistik der registrierten Häftlinge verbessere sich die Situation fortlaufend; die mittlere Sterblichkeitsrate sei von 2,8 Prozent im April auf 2,23 Prozent im Juli und auf 2,09 Prozent im August gesunken. Sogar in Auschwitz bewege sich dieser Wert um 3,6 Prozent, ein bemerkenswerter Rückgang seit März. »Gegenwärtig umfasst das System der KL rund 160 000 Häftlinge: Davon sind nur 35 000 vom Arbeitseinsatz als arbeitsunfähig eingestuft, während 100 000, was nicht wenig ist, außerhalb der Lager arbeiten, in den Fabriken und Betrieben.« Durch die Bauprojekte der Amtsgruppe C habe sich die Überbelegung, eine Ursache von Epidemien, verringert; wenn auch die Einkleidung trotz der konfiszierten jüdischen Kleidungsstücke problematisch bleibe, so seien doch in medizinischer Hinsicht große Fortschritte erzielt worden; kurzum, die Situation scheine sich zu stabilisieren. Obersturmführer Jedermann von der Verwaltung erklärte sich weitgehend einverstanden; und dann bleibe, so fuhr er fort, die Kontrolle der Kosten ein zentrales Problem: Der Haushaltsrahmen sei sehr knapp bemessen. »Vollkommen richtig«, mischte sich Sturmbannführer Rizzi, der von Pohl bestimmte Wirtschaftsfachmann, ein, »aber esist trotzdem eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen.« Rizzi war ein Offizier meines Alters von fast slawischem Aussehen, mit schütterem Haar und Himmelfahrtsnase; er bewegte beim Sprechen kaum seine schmalen blutleeren Lippen, doch seine Äußerungen waren klar und präzise. Die Produktivität eines Häftlings lasse sich generell als Prozentsatz der Produktivität eines deutschen Arbeiters oder eines Fremdarbeiters ausdrücken; nun würden aber diese beiden Kategorien gegenüber den Häftlingen erhebliche Zusatzkosten verursachen, ganz abgesehen davon, dass ihre Verfügbarkeit immer stärker zurückgehe. Zwar könne die SS, seit sich die Großunternehmen und das Rüstungsministerium über unlauteren Wettbewerb beklagt hätten, die Häftlinge nicht mehr zu den Selbstkosten an ihre eigenen Unternehmen liefern, sondern müsse sie sich in gleicher Höhe wie den Fremdfirmen in Rechnung stellen, das heißt für 4 bis 6 Reichsmark pro Tag, obwohl die Unterhaltskosten für einen Häftling natürlich weit unter dieser Summe lägen. Nun könne aber eine leichte Erhöhung der Selbstkosten, gut angelegt, die Produktionsrate erheblich steigern, was für alle Beteiligten von Nutzen wäre. »Lassen Sie mich das etwas erläutern: das WVHA gibt gegenwärtig, sagen wir, 1,5 Reichsmark pro Tag für einen Häftling aus, der 10 Prozent der Tagesarbeitsleistung eines deutschen Arbeiters schafft. Wir brauchen also zehn Häftlinge, das heißt 15 Reichsmark pro Tag, um einen Deutschen zu ersetzen. Doch was wäre, wenn wir einen Häftling, bei Kosten von 2 Reichsmark pro Tag, wieder zu Kräften kommen lassen, die Dauer seiner Arbeitsfähigkeit verlängern und ihn richtig ausbilden könnten? In diesem Falle wäre es denkbar, dass ein Häftling nach einigen Monaten 50 Prozent der Arbeit eines Deutschen leisten könnte: Dann brauchten wir nicht mehr als zwei Häftlinge, das heißt 4 Reichsmark pro Tag, damit die Aufgaben eines Deutschen übernommen werden. Können Sie mir folgen?Natürlich sind diese Zahlen nur Näherungswerte. Wir müssten eine Untersuchung durchführen.« – »Könnten Sie sich darum kümmern?«, fragte ich interessiert. »Einen Augenblick«, unterbrach mich Jedermann. »Wenn ich für 100 000 Häftlinge je 2 statt 1,5 Reichsmark aufbringen muss, verursacht mir das Mehrkosten von netto 50 000 Reichsmark pro Tag. Ob sie dabei mehr oder weniger produzieren, ändert daran nichts. Mein Budget ändert sich deswegen nicht.« – »Das ist richtig«, erwiderte ich. »Aber ich verstehe, worauf Sturmbannführer Rizzi hinauswill. Wenn seine Überlegungen stimmen, würden sich die Gesamterträge der SS erhöhen, weil die Häftlinge, ohne dass Mehrkosten auf die Unternehmen zukämen, mehr produzieren würden. Wenn sich das beweisen ließe, würde es genügen, Obergruppenführer Pohl dazu zu bewegen, einen Teil dieser erhöhten Gewinne dem Unterhaltsbudget der Amtsgruppe D zuzuschlagen.« – »Ja, das ist nicht dumm«, stimmte Gorter, Maurers Mann, zu. »Und wenn die Häftlinge länger durchhalten, wird am Ende auch der Personalbestand rascher anwachsen. Deshalb ist es so wichtig, die Sterblichkeitsrate zu senken.«
    Damit endete die

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