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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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hatte mir noch einen vierten versprochen; allerdings begannen sich die Nachteile meiner Stellung bemerkbar zu machen; um meinen Vorschlägen Nachdruck zu verleihen, hatte ich zu wenig Unterstützung, weder das RSHA setzte sich dafür ein – trotz meiner Verbindungen zum SD – noch das WVHA, abgesehen von Maurer, aber auch das nur gelegentlich, wenn es ihm in den Kram passte.
    Anfang März begannen die Dinge sich zu beschleunigen, aber nicht zu klären. Speer, so hatte ich Ende Februar von Thomas am Telefon erfahren, war aus dem Gröbsten herausund fing an, auch wenn er im Augenblick noch in Hohenlychen bleiben musste, langsam wieder die Leitung seines Ministeriums zu übernehmen. Zusammen mit Feldmarschall Milch hatte er beschlossen, einen Jägerstab einzurichten, der die Produktion der Jagdflugzeuge koordinieren sollte; in gewisser Hinsicht stellte das einen großen Schritt zur Vereinnahmung des letzten Rüstungssektors dar, der dem Einfluss seines Ministeriums noch entzogen war; andererseits verstärkten sich die Intrigen, es hieß, Göring habe sich der Gründung des Jägerstabs widersetzt, Saur, Speers Adjutant, der zum Amtsleiter in Speers Ministerium ernannt worden war, sei kein Wunschkandidat Speers, und anderes mehr. Außerdem erörterten die Fachleute in Speers Ministerium jetzt offen eine abenteuerliche, völlig unrealistische Idee: Sie wollten die gesamte Flugzeugproduktion unterirdisch betreiben, um sie vor den englischen und amerikanischen Bombern in Sicherheit zu bringen. Das hätte den Bau Hunderttausender von Quadratmetern unterirdischer Stollen bedeutet. Kammler, hieß es, unterstütze dieses Projekt begeistert und seine Dienststelle habe die notwendigen Untersuchungen fast abgeschlossen: Allen Beteiligten war klar, dass beim gegenwärtigen Stand der Dinge nur die SS ein so verrücktes Vorhaben durchführen könnte. Allerdings überschritt es die Kapazität der verfügbaren Arbeitskräfte bei weitem: Neue Quellen mussten erschlossen werden, und in der gegebenen Situation blieb – zumal das Abkommen zwischen Speer und Minister Bichelonne jeden weiteren Zugriff auf französische Arbeitskräfte unterband – lediglich Ungarn. Damit gewann die Lösung des ungarischen Problems eine neue Dringlichkeit. Die Ingenieure von Speer und Kammler bezogen die ungarischen Juden einfach schon in ihre Berechnungen und Planungen mit ein, obwohl noch keine Einigung mit der Regierung Kállay erzielt worden war. Im RSHA prüfte man jetzt Ersatzlösungen: Ich kannte nur wenige Einzelheiten,aber Thomas informierte mich hin und wieder über den Stand der Planungen, damit ich die meinen entsprechend anpassen konnte. Schellenberg war an diesen Projekten unmittelbar beteiligt. Im Februar hatten Ermittlungen über dubiose Devisengeschäfte mit der Schweiz zum Sturz von Admiral Canaris geführt; daraufhin wurde die gesamte Abwehr dem RSHA eingegliedert und mit dem Amt VI zum Amt Mil unter Schellenbergs Befehl zusammengefasst, der damit den gesamten Auslandsnachrichtendienst unter sich hatte. Ihm blieb wenig Zeit, diese Position zu nutzen: Die Berufsoffiziere der Abwehr waren keine Anhänger der SS, und er hatte sie keineswegs unter Kontrolle. So gesehen, konnte er an Ungarn die Möglichkeiten seines neuen Werkzeugs ausprobieren. Hinsichtlich der Arbeitskräftebeschaffung hätte ein Politikwechsel enorme Perspektiven eröffnet: Die Optimisten sprachen von vierhunderttausend verfügbaren und rasch mobilisierbaren Arbeitern, von denen die meisten bereits qualifiziert oder spezialisiert waren. Angesichts unseres Bedarfs wäre das ein enormer Beitrag gewesen. Doch ihr Einsatz, das ließ sich für mich absehen, würde erbitterte Kontroversen auslösen: Im Gegensatz zu Kammler und Saur vertraten mir gegenüber zahlreiche Fachleute, nüchterne und ernsthafte Männer, die Auffassung, der Plan unterirdischer Fertigungsstätten, so verlockend er auch scheinen mochte, sei illusorisch, weil diese Fabriken niemals so rechtzeitig fertig sein würden, dass sie den Gang der Ereignisse noch veränderten; in der Zwischenzeit würde er eine unzulässige Verschwendung von Arbeitskräften bedeuten, die weit nützlicher eingesetzt werden könnten, um, in Kolonnen eingeteilt, getroffene Fabriken zu reparieren, Wohnraum für unsere Arbeiter oder ausgebombten Landsleute zu bauen oder bei der Dezentralisierung kriegswichtiger Industrien zu helfen. Wie mir diese Männer versicherten, war Speer der gleichen Ansicht; allerdings hatte ich im Augenblick

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