Die Wohlgesinnten
Reichsführers bestätigt: »Die Lage in Ungarn wird sich rasch verändern«, teilte er mir mit, ohne näher auf Einzelheiten einzugehen. »Der Führer ist entschlossen, wenn nötig, einzugreifen. Es werden sich neue Möglichkeiten ergeben, die wir entschlossen nutzen müssen. Eine dieser Möglichkeiten betrifft die jüdische Frage. Im richtigen Augenblick wird Obergruppenführer Kaltenbrunner seine Männer schicken. Die wissen, was zu tun ist, darum brauchen Sie sich nicht zu kümmern. Aber ich möchte, dass Sie mit ihnen gehen und die Interessen des Arbeitseinsatzes geltend machen. Gruppenführer Kammler (Kammler war gerade Ende Januar befördert worden) wird Männer brauchen, ungeheuer viele Männer. Die Engländer und Amerikaner führen Neuerungen ein« – er zeigte mit dem Finger zum Himmel –, »und wir müssen schnell reagieren. Das RSHA muss dem Rechnung tragen. Ich habe Obergruppenführer Kaltenbrunner entsprechende Anweisungen gegeben,aber Sie sollen darauf achten, dass diese von seinen Fachleuten streng eingehalten werden. Mehr denn je schulden uns die Juden ihre Arbeitskraft. Ist das klar?« Ja, das war klar. Im Anschluss an diese Besprechung erläuterte Brandt die geplanten Einzelheiten: Das Sondereinsatzkommando werde von Eichmann befehligt, der bei der Regelung dieser Angelegenheit mehr oder minder freie Hand habe; sobald die Ungarn das Prinzip akzeptiert hätten und auf ihre Zusammenarbeit Verlass sei, würden die Juden nach Auschwitz deportiert, das als Selektionszentrale diene. Von dort würden die arbeitsfähigen Juden nach Bedarf verteilt werden. Auf jeder Etappe gelte es, die Zahl potenzieller Arbeiter zu maximieren.
Eine Reihe von Vorbereitungstreffen fand im RSHA statt, viel eingehendere als die des Vormonats; bald war nur noch der Termin offen. Die Erregung war spürbar; zum ersten Mal seit langer Zeit hatten die Verantwortlichen wieder das Gefühl, die Initiative ergreifen zu können. Ich kam mehrfach mit Eichmann zusammen, anlässlich dieser Besprechungen und privat. Er versicherte mir, dass die Anweisungen des Reichsführers vollkommen verstanden worden seien. »Ich freue mich, dass Sie mit diesem Aspekt der Frage befasst sind«, sagte er und kaute an der Innenseite seiner linken Wange. »Mit Ihnen ist wirklich eine Zusammenarbeit möglich, wenn ich das so sagen darf. Was durchaus nicht immer der Fall ist.« Die Frage des Luftkriegs beherrschte alle Gedanken. Zwei Tage nach dem ersten Angriff hatten die Amerikaner mehr als fünfhundert Bomber geschickt, von rund sechshundertfünfzig ihrer neuen Jäger gesichert, und Berlin zur Mittagszeit heimgesucht. Dank schlechtem Wetter waren die Abwürfe zu ungenau, sodass sich die Schäden in Grenzen hielten; außerdem schossen die Flak und unsere Jäger achtzig feindliche Maschinen ab, ein Rekord; doch unsere Jäger waren schwerfällig und den neuen Mustangs kaum gewachsen, undunsere eigenen Verluste beliefen sich auf sechsundsechzig Maschinen, eine Katastrophe, wobei die gefallenen Piloten noch schwerer zu ersetzen waren als die Flugzeuge. Keineswegs entmutigt kamen die Amerikaner mehrere Tage hintereinander zurück; jedes Mal verbrachten die Menschen Stunden in den Luftschutzräumen, die gesamte Arbeit wurde unterbrochen; nachts schickten die Engländer Mosquitos, die zwar wenig Schaden anrichteten, aber die Menschen wieder in die Schutzräume zwangen, ihnen die Nachtruhe raubten und an ihren Kräften zehrten. Die Zahl der Opfer war glücklicherweise weit geringer als im November: Goebbels hatte sich entschlossen, einen Großteil des Stadtzentrums zu evakuieren, sodass die meisten Angestellten jetzt jeden Tag aus den Vororten in die Büros kamen; doch das bedeutete mehrstündige, ermüdende Wege von und zur Arbeit. Darunter litt deren Qualität: In der Korrespondenz unserer übermüdeten Fachleute in Berlin häuften sich die Fehler, ich musste die Briefe manchmal vier-, fünfmal neu schreiben lassen, bevor ich sie abschicken konnte.
Eines Abends war ich bei Gruppenführer Müller eingeladen. Die Einladung wurde mir nach einem Fliegeralarm von Eichmann übermittelt, in dessen Büro an diesem Tag eine wichtige Planungskonferenz stattfand. »Jeden Donnerstag«, hatte er mir berichtet, »versammelt der Amtschef gerne einige seiner Fachleute um sich, um mit ihnen die Lage zu erörtern. Er würde sich sehr freuen, wenn Sie auch kommen könnten.« Das zwang mich, meine Verabredung zum Fechten abzusagen, aber ich nahm an: Ich war Müller selten
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