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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Obersturmbannführer. Ich habe mir die kranken oder schwachen Häftlinge genau angesehen und diejenigen, die sich noch erholen können, auf die Karren legen lassen. Wir haben nur die exekutiert, die eindeutig nicht mehr verwendbar sind.« – »Untersturmführer«, sagte ich eisig, »für Exekutionen sind Sie nicht zuständig. Ihr Befehl lautet, sie so weit wie möglich einzuschränken, aber ganz gewiss nicht, sich an ihnen zu beteiligen. Verstanden?« Ich verpasste auch Elias eine Zigarre; schließlich war er für Darius verantwortlich.
    Manchmal fand ich einsichtigere Kolonnenführer, die die Logik und Notwendigkeit meiner Erklärung einsahen. Doch die Mittel, die ihnen zur Verfügung standen, waren begrenzt, sie befehligten beschränkte und verängstigte Männer, die durch die Jahre in den Lagern abgestumpft waren, ihre Methoden nicht mehr ändern konnten und mit der Lockerung der Disziplin durch das Chaos der Evakuierung in ihre alten Schwächen und Reflexe zurückfielen. Vermutlich hatte jeder seine Gründe, sich so gewalttätig aufzuführen; so hatte Darius wohl diesen Männern, die teilweise viel älter waren als er, Rückgrat und Entschlossenheit beweisen wollen. Doch ich hatte anderes zu tun, als solche Beweggründe zu analysieren, ich versuchte lediglich, unter äußerst schwierigen Umständenfür die Befolgung meiner Befehle zu sorgen. Die meisten Kolonnenführer waren einfach gleichgültig, sie hatten nur eines im Sinn: sich mit dem Viehzeug, das man ihnen aufgehalst hatte, so rasch wie möglich von den Russen zu entfernen, ohne sich das Leben unnötig schwer zu machen.
    Während dieser vier Tage schlief ich, wo sich eine Gelegenheit ergab, in Herbergen, bei den Bürgermeistern der Dörfer, bei anderen Einwohnern. Am 25. Januar hatte ein leichter Wind die Wolken vertrieben, der Himmel war klar und rein, strahlend, ich kehrte nach Auschwitz zurück, um zu sehen, was dort geschah. Am Bahnhof sah ich die Angehörigen einer Flakbatterie, größtenteils Hitlerjungen, die in die Luftwaffe gesteckt worden waren, Kinder, die sich auf den Abzug vorbereiteten; ihr Feldwebel teilte mir mit erschrockenen Augen und tonloser Stimme mit, die Russen befänden sich am anderen Ufer der Weichsel und in der Fabrik von IG Farben werde gekämpft. Ich wählte die Straße, die nach Birkenau führte, und stieß auf eine lange Kolonne von Häftlingen, die sich den Hang hinaufquälte, eskortiert von SS-Männern, die mehr oder minder wahllos in die Kolonne hineinschossen; hinter ihnen war die Straße bis zum Lager mit Leichen übersät. Ich hielt an und rief den Kolonnenführer zu mir, einen von Kraus’ Männern. »Was zum Teufel machen Sie da?« – »Der Sturmbannführer hat befohlen, die Abschnitte IIe und IIf zu räumen und die Häftlinge ins Stammlager zu überführen.« – »Und warum lassen Sie auf sie schießen?« Mürrisch erwiderte er: »Sonst bewegen sie sich nicht.« – »Wo ist Sturmbannführer Kraus?« – »Im Stammlager.« Ich dachte nach: »Sie sollten lieber abhauen. Die Russen sind in einigen Stunden da.« Er zögerte, dann fasste er einen Entschluss; er gab seinen Männern ein Zeichen, woraufhin sich die Gruppe im Laufschritt in Richtung Auschwitz I absetzte und die Häftlinge zurückließ. Ich betrachtete sie: Sie rührten sich nicht, einige sahen mich an, anderesetzten sich. Ich blickte nach Birkenau hinüber, das ich von dieser Anhöhe aus in seiner ganzen Ausdehnung liegen sah: Der Abschnitt vom »Kanada« im Hintergrund stand in Flammen und schickte eine dicke schwarze Rauchsäule zum Himmel, neben der der dünne Faden aus dem Schornstein von Krema IV, das immer noch in Betrieb war, kaum auffiel. Der Schnee auf den Dächern der Baracken glänzte in der Sonne; das Lager schien verlassen, ich erblickte nicht eine einzige menschliche Gestalt, abgesehen von verstreuten Flecken auf den Wegen, offenbar Leichen, die Wachtürme standen leer, nichts regte sich. Ich stieg wieder in meinen Wagen und wendete, die Häftlinge ihrem Schicksal überlassend. Im Stammlager, wo ich vor dem Kommando eintraf, das ich auf der Straße getroffen hatte, liefen andere Angehörige des SD und der Gestapo von Kattowitz durcheinander, aufgeregt und verängstigt. Die Lagerwege waren voller bereits mit Schnee bedeckter Leichen, Müll, schmutziger Kleiderhaufen; hin und wieder sah ich einen Häftling Leichen durchsuchen oder verstohlen von einem Gebäude zum anderen schleichen, wenn er mich sah, machte er sich hastig aus dem Staub. Ich

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